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Diplomatische Offensive der UdSSR in Afghanistan

■ Sowjetischer Außenminister Schewardnadse trifft sich Anfang Februar mit pakistanischer Regierung / Pakistan will mit Ausbildungsprogramm für afghanische Flüchtlinge beginnen / Oppositionelle greifen Lebensmitteltransporte für Kabul an

Washington/Islamabad (ap/afp/taz) - Knapp drei Wochen vor Ablauf der Frist für den sowjetischen Truppenabzug aus Afghanistan startet Moskau eine diplomatische Offensive. Der sowjetische Außenminister Schewardnadse hat sich für den 4.Februar zu Gesprächen mit der pakistanischen Führung über Afghanistan angesagt.

Es ist der erste Besuch eines derart hohen sowjetischen Repräsentanten in Pakistan seit zwei Jahrzehnten. Moskau -Unterhändler Woronzow hatte bei seiner Visite Anfang Januar die Einhaltung des Genfer Abkommens von Seiten Pakistans eingeklagt und der neuen Premierministerin Benazir Bhutto gleichzeitig den Ausbau wirtschaftlicher Beziehungen in Aussicht gestellt. Nach Berichten pakistanischer Beamten hätten sich die afghanischen Behörden zwischen Mai und Ende des vorigen Jahres in Afghanistan in 195 Fällen wegen Gebietsverletzungen über Pakistan beschwert. Um die Ernsthaftigkeit der pakistanischen Friedensbemühungen zu unterstreichen, versicherte ein Sprecher des Außenministeriums in Islamabad, Pakistan wolle jetzt mit einem Ausbildungsprogramm für afghanische Flüchtlinge beginnen, denen das Entschärfen von Minen und Blindgängern beigebracht werden solle.

Unterdessen versuchen die in Mißkredit geratenen Mudschahedin, es mit den sowjetischen Lebensmittelhilfen für die afghanische Zivilbevölkerung aufzunehmen. Wie am Donnerstag aus dem Sitz der Siebener-Allianz in Peshawar verlautete, überquerten 40 Lastwagen mit Mehl, Trockenmilch, Arzneimitteln und anderen Versorgungsgütern am Mittwoch bei Torkham die afghanisch-pakistanische Grenze. Mit dem Nachschub soll die Bevölkerung der seit Wochen von den Mudschahedin belagerten Stadt Dschalalabad versorgt werden.

Auch in Kabul hatte sich die Versorgungslage durch die Lebensmittelblockade der Mudschahedin in der letzten Woche drastisch zugespitzt. Die sowjetische Parteizeitung 'Prawda‘ berichtete am Donnerstag, sowjetische und afghanische Einheiten seien am Südhang des Salang-Passes in Kämpfe mit bewaffneten Oppositionellen verwickelt worden, die dort Lebensmittelkonvois für Kabul angegriffen hätten. Zu den Kämpfen um Kandahar hieß es in der Parteizeitung, 100 sowjetische Soldaten seien dort eigens zur Aufrechterhaltung der Luftbrücke abgestellt worden. Westliche Diplomaten in Peshawar berichteten dagegen, sowjetische Einheiten und afghanische Regierungstruppen hätten die Hauptverbindungsstraße nach Kabul unterbrochen, mehrere Dörfer zerstört und Zivilisten getötet. Gestern ist der sowjetische Verteidigungsminister Dimitri Jasow eigens nach Kabul gereist, um in der Hauptstadt „Schwierigkeiten“ zu bereinigen.

Im Weißen Haus in Washington will man, obwohl man sich über Geheimdienstberichte auf dem laufenden halte, nichts von den Massakern an der Salang-Straße gehört haben. Dennoch hat US -Außenminister James Baker nach offiziellen Angaben am Donnerstag die amerikanische Botschaft in Kabul schließen lassen, da er das Botschaftspersonal für gefährdet hält.

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