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UNO-Menschenrechtskonvention wird ständig verletzt

Im Nato-Mitgliedsstaat Türkei werden sowohl politische Gefangene wie auch aus anderen Gründen inhaftierte Personen nach wie vor gefoltert und in ihren Grundrechten auf ein rechtsstaatliches Verfahren verletzt. Zu diesem Ergebnis kommt der UNO-Sonderberichterstatter für die Türkei, Professor Pieter Kooijmans in einem Report, den er während der nächsten Montag in Genf beginnenden diesjährigen Tagung der UNO-Menschenrechtskommission vorlegen wird. Im September 88 besuchte der Professor für Völkerrecht an der Universität Leiden Gefängnisse in der Türkei und führte zahlreiche Gespräche mit Regierungs-und Parteienvertretern, Polizeioffizieren, Anwälten und Menschenrechtsgruppen. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung in Ankara nicht zuletzt wegen des von ihr angestrebten EG-Beitritts die beiden Konventionen des Straßburger Europarats und der UNO gegen Folter und andere Formen unmenschlicher Behandlung unterschrieben.

Als „mehr als bemerkenswert“ bewertet es Kooijmans, daß „angesichts dieser eingegangenen starken Verpflichtungen weiter ununterbrochen Berichte über Folter zu hören sind“. Türkische Tageszeitungen berichteten „regelmäßig“ über Foltervorwürfe. Es sei „klar und wird von niemandem bestritten, daß Folter in der Vergangenheit regelmäßig praktiziert wurde und auch heute nicht völlig abgeschafft ist“. In seiner Funktion als UNO-Sonderberichterstatter erhalte jedoch nach wie vor Informationen über Foltervorkomnisse. Diese bezögen sich in jüngster Zeit nicht mehr auf Folter in Gefängnissen, sondern in Polizeistationen. In seinem Bericht erläutert der Völkerrechtler detailliert, wie türkische Rechtsvorschriften und die tägliche Polizei-und Gerichtspraxis weiterhin Folter sowie die völlige Vertuschung konkreter Fälle zulassen.

Laut gültigem Gesetz können festgenommene Personen 24 Stunden ohne konkrete Beschuldigung inhaftiert werden. Der Staatsanwalt ist sofort zu informieren. Per Gerichtsbeschluß kann diese Haftzeit auf 15 Tage, in Fällen, bei denen es um die „Sicherheit des Staates geht“, sogar auf 30 Tage verlängert werden. Bei festgenommenen Gruppen von drei oder mehr Personen, denen die Polizei ein gemeinsam begangenes Delikt zur Last legt, bedarf es nicht einmal eines Gerichtsbeschlusses zur Haftverlängerung. Die meisten Berichte und Vorwürfe beziehen sich auf Versuche der Polizei, während dieser 24-Stunden- bis 30-Tage-Periode mittels Folter Geständnisse und Informationen von den Inhaftierten zu erpressen. In dieser Zeit besteht in den meisten Fällen keinerlei Kontrolle durch Dritte. Ein Rechtsanwalt hat frühestens nach Ablauf der 15 bzw. 30 Tage Zutritt. Denn dann erst kann der/die Inhaftierte einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner/ihrer Rechte beauftragen es sei denn, er/sie hat bereits einen Anwalt im Moment seiner /ihrer Festnahme. In diesem - seltenen - Fall schreibt das Gesetz der Polizei vor, dem Anwalt nach 24 Stunden Zutritt zu gewähren. Aber auch nur dann, wenn der Anwalt von sich aus einen Besuch anmeldet.

Eine ähnliche Vorschrift gilt für Besuche von Familienmitgliedern. Justizbehörden hätten jedoch eingeräumt, schreibt, Kooijmans, daß in vielen Fällen nicht einmal die Wahrnahme dieses sehr eingeschränkten Rechtes inhaftierter Personen gewährleistet ist, weil „den Polizisten die Bestimmungen nicht ausreichend bewußt“ seien. Die Regelung sei außerdem „nicht effektiv“, da Anwälte oder Familienmitglieder meistens von einer Festnahme nicht erführen, geschweige denn vom Ort der Inhaftierung.

Klagen Inhaftierte nach Ablauf der 15/30-Tage isolierter Polizeihaft über erlittene Folter, müssen sie laut Gesetz „sofort von einem öffentlichen Gesundheitsbeamten untersucht werden“. Gutachten von Ärzten des eigenen Vertrauens werden vor Gericht nicht als Beweis für erlittene Folter zugelassen. Kooijmans zitiert den Vorstand des türkischen Ärzteverbandes, wonach „öffentliche Gesundheitsbeamte in der Regel nicht dafür ausgebildet sind, Folteropfer zu untersuchen und Foltermerkmale zu erkennen“. Nur wenn sofort ins Auge springende, eindeutige Anzeichen für erlittene Folter vorliegen, muß ein Angeklagter freigesprochen werden. Das ist angesichts der oben beschriebenen Praxis und der immer mehr verfeinerter Foltermethoden jedoch die große Ausnahme. In den meisten Fällen, in denen ein Angeklagter ein Untersuchungsverfahren gegen seinen Folterer angestrengt hat und in seinem eigenen Prozeß verlangt, daß sein durch Folter erpreßtes Geständnis nicht gegen ihn verwandt wird, kann das Gericht das Verfahren bis zum Urteilsspruch durchziehen, ohne daß zuvor die Foltervorwürfe geklärt werden müssen. Stellt ein Berufungsgericht fest, daß die Foltervorwürfe zutrafen, wird das ganze Verfahren vor der ersten Instanz neu eröffnet. Eine Klärung der Foltervorwürfe vor Abschluß des ersten Verfahrens führe zu „unnötigen Verzögerungen“, begründeten die Justizbehörden gegenüber Kooijmans diese Praxis. Sie führt dazu - so der UNO -Berichterstatter -, daß zahlreiche verurteilte Personen viele Jahre im Gefängnis verbringen, bevor eine Untersuchung ergibt, daß ihre Geständnisse durch Folter erpreßt wurden. In Prozessen, in denen die Verteidigung unter Berufung auf Artikel 15 der von Ankara unterschriebenen UNO-Konvention verlangte, durch Folter erpreßte Geständnisse und Informationen nicht zu verwenden, erklärten die Richter, diese Konvention richte sich an Staaten und nicht an die Gerichte. Zunächst müsse das türkische Parlament die Landesgesetze der UNO-Konvention anpassen. Das ist bis heute nicht geschehen. Nur in einer „Minderheit verläßlich bezeugter Foltervorwürfe“ sei Anklage erhoben worden, schreibt Kooijmans weiter. Die Strafen seien „gewöhnlich relativ gering“ gewesen. „Zu viele Klagen wurden pauschal als unbegründet verworfen.“

Die am Montag in Genf beginnende Tagung der UNO -Menschenrechtskommission gehört zu den wichtigsten jährlichen Veranstaltungen der Vereinten Nationen. Alle UNO -Mitgliedsstaaten entsenden Vertreter, dazu kommen etliche Organisationen, die einen Beobachterstatus genießen. Die Feststellungen der Kommission haben zwar keine direkten förmlichen Sanktionen zur Folge, trotzdem fürchten die Staaten, die zur Verhandlung anstehen, den möglichen Verlust internationaler Reputation. Deshalb wird bereits in internen Verhandlungen die Marschroute der jeweils befreundeten Nationen abgeklärt. So ließ der bundesdeutsche Vertreter in der Menschenrechtskommission schon vorab durchblicken, daß weder die Bundesregierung noch ein anderer EG-Staat beabsichtigen, einen Vorstoß zur Verurteilung der Türkei zu unternehmen.

Andreas Zumach

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