Siegerfreude mit Schatten

■ Sozialdemokraten vom Wahlergebnis überrumpelt / Basis fordert rot-grüne Koalition / Republikaner-Sieg dämpft die Freude

„Dann wird Walter Momper also Bürgermeister?!“ Das sozialdemokratische Pärchen mittleren Alters kann das vorläufige Wahlergebnis noch gar nicht fassen. Irritiert steigen sie die Treppen im Kurt-Schumacher-Haus hinab zum Wahlzelt, wo sich mehrere hundert Sozis eingefunden haben, um, wie ihr Spitzenkandidat Walter Momper bereits am Freitag verkündete, das neugewonnene Selbstbewußtsein zu feiern. Jubelschreie, Füßetrampeln, als die ersten Ergebnisse über die aufgestellten Monitore laufen und der Regierungskoalition unerwartete Einbrüche voraussagen.

Das Motto der SPD-Wahlkampffete lautete noch ganz bescheiden „Komme was da wolle“. Doch was dann tatsächlich an vorläufigem Ergebnis kam, konnten die meisten SozialdemokratInnen nicht so recht fassen. Auf der einen Seite die SPD als möglicherweise stärkste Partei, auf der anderen Seite der überraschende Stimmengewinn der Republikaner. „Das darf doch nicht wahr sein“ oder ein schlichtes „Scheiße“ überschattete angesichts des rechtsradikalen Zuwachses die Stimmung im Festzelt. Die Siegesfreude war deutlich getrübt. In seinem Statement nach der ersten Hochrechnung begrüßte dann auch Hans Kremendahl vom Landesvorstand die spontanen Proteste gegen die Republikaner. „Jede Stimme für die Republikaner ist eine zuviel und sollte uns zu denken geben.“ So mancher SPDler, wie etwa der Neuköllner Stadtrat Bielka, wollte aber auch nicht ausschließen, daß selbst von ehemaligen SPD-Wählern Stimmen an die Rechtsradikalen gegangen seien. Schließlich gebe es am rechten Rand der SPD auch Ausländerhaß.

Die „stärkste Partei Berlins“ wollten die Sozis werden, und scheinen es nun geworden zu sein. Doch dieses Ergebnis löste nicht nur Freude, sondern auch ziemliche Irritation aus. Einen Sieg hatten sie selbst in ihren kühnsten Planspielen nicht erwogen. Während die Jusos für Einzelverhandlungen mit der AL plädieren - die Parteibasis skandierte „Rot-grün, rot -grün“ -, will man beim Landesvorstand erst morgen genauer nachdenken und Näheres verhandeln. Koalitionsgespräche „mit allen Parteien außer den Republikanern“ will Kremendahl vorerst nicht aussschließen. Nils Diederich vom Landesvorstand dagegen schließt eine Koalition mit der „Verliererpartei“ CDU genauso aus, wie mit der AL. Eine verkürzte Legislaturperiode scheint für ihn das bislang kleinste Übel, um aus dem Dilemma der überraschenden Wahlergebnisse herauszukommen. Alt-SPDler Harry Ristock meinte: „EIne große Koalition kommt nicht in Frage!“ Vorerst jedoch knallten die Sektkorken im SPD-Wahlkampfzelt und die GenossInnen übten sich in nonverbaler Kommunikation.

bim