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Dritte-Welt- Zeitschriften

■ Gelesen von Gunhild Rauch und Uwe Jungfer: Blätter des iz3w / Informationsdienst Südliches Afrika / AIB / Entwicklungspolitische Korrespondenz / ila-info

Vielleicht befinden wir uns gerade in einem geistigen Umwälzungsprozeß mit Blick auf das Jahr 2000. Zeitgeist und postmoderne Selbstgefälligkeit mitsamt ihrer Theoriefeindlichkeit weichen in unseren Köpfen dem „neuen Denken“ und damit einer gewissen Lust auf Theorie.

„Dependenztheorie am Ende?“ fragen die blätter des iz3w (Nr. 154 vom Dezember/Januar) und geben für die Beantwortung der Frage ein gutes Drittel des Heftes her. Die Abhängigkeitstheorie löste Anfang der siebziger Jahre die Dominanz der Modernisierungstheoretiker in der entwicklungstheoretischen Diskussion ab. Seitdem galt die „strukturelle Abhängigkeit“ der Entwicklungsländer als wesentliche Ursache für die Unterentwicklung Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Nur durch die Abkoppelung vom Weltmarkt, durch eine völlige Entmachtung der Agraroligarchien und den Aufbau eigener Produktions- und Konsumgüterindustrien u.a.m. sei eine eigenständige Entwicklung möglich. Der wirtschaftliche Aufstieg der Schwellenländer in Lateinamerika und Ostasien sowie tiefgreifende Krisen, in denen sich die real-existierenden sozialistischen Gesellschaften befinden, ließen Zweifel an der Richtigkeit der Dependenztheorie laut werden. Zumindest in ihrer „Standardversion“ nach Frank, Amir und Senghaas. Gerhard Hauck konstatiert in seinem Beitrag die Renaissance der Modernisierungstheorie. Während die Modernisierungstheoretiker ungeachtet der Diskussionen über die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von den Industrienationen auf ihren alten Standpunkten verharrten, befassen sich seit Anfang der achtziger Jahre ehemalige Vertreter der Dependenztheorie wie Dieter Senghaas wieder mit der Suche nach internen Ursachen in den unterentwikkelten Ländern. Hauck verdeutlicht in seinem Beitrag die Auffassungen der Modernisierungstheorie bezüglich moderner und traditioneller Gesellschaften und kritisiert schließlich deren ethnozentristisches Schwarz -Weiß-Denken. Ebenso kritisiert er die Versuche unter anderem von Habermas, in der Diskussion um die Moderne „den Universalitätsanspruch des westlichen Modells neu zu begründen“.

Thomas Hurtienne differenziert in seinem Beitrag die Dependenztheorie nach unterschiedlichen Ansätzen und verweist auf deren Stärken und Schwächen. Favorisiert wird schließlich von ihm der „historisch-strukturelle Ansatz“ der Lateinamerikaner Cardoso/Faletto, bei dem interne wie externe und historische Faktoren berücksichtigt werden und der auch nicht den Anspruch erhebt, eine eigenständige Theorie der Abhängigkeit mit Universalitätsanspruch zu entwickeln.

Dirk Messner greift diesen Ansatz am Beispiel Südkoreas auf. Vorerst scheint also dieser Ansatz, wenn er auch sicherlich streitbar ist, der einzig mögliche Weg hin zur Erklärung solcher Entwicklungen, ohne dabei auf die Modernisierungstheorie zurückzufallen. Weitere Beiträge im Heft beschäftigen sich unter anderem ausführlicher mit der Situation in Mexiko und Chile, mit der Berichterstattung in der DDR zum IWF/WB-Gipfel und den Schwierigkeiten des Autors, dort überhaupt an Informationen zu gelangen.

„Solidarität - Kampagnen - Aktionen“ ist der Titel des Informationsdienstes Südliches Afrika Nr. 7. Im ersten Artikel versucht Martin Budrich eine Bewertung der Solidaritätsarbeit zum südlichen Afrika in der BRD. Neben mittlerweile bekannten Problemen der Solidaritätsbewegung wie Desillusionierung über die hiesigen Verhältnisse, der Konjunktur der Solidaritätsobjekte usw. sieht der Autor weitere Faktoren für die bisherige Schwäche der Anti -Apartheid-Bewegung. Zu nennen wären da die von der SPD lange Zeit geduldete Zusammenarbeit mit Südafrika und die Heterogenität des Widerstandes in Südafrika selbst, deren Auseinandersetzungen in der hiesigen Solidaritätsbewegung ebenso geführt wurden und nach Meinung des Autors „einen unverhältnismäßig hohen Stellenwert“ bekamen. Schließlich ist da noch die Zusammenarbeit der Bewegung mit Kommunisten zu erwähnen, die seines Erachtens für viele „ein bequemer Vorwand“ war, sich nicht an der Solidaritätsarbeit zu beteiligen. Sowohl der vor elf Jahren begonnene Früchteboykott der Evangelischen Frauenarbeit (über den sich auch ein Beitrag im Heft befindet) als auch die seit 1983 laufende Bankenkampagne hat die Arbeit, so Budrich, auf eine breitere Basis - mit Kirchen und Gewerkschaften - gestellt. Notwendig sei nun die konkrete Thematisierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den bundesdeutschen Unternehmen und dem Apartheid-Staat.

Daß die Erfolge der bundesdeutschen Solidaritätsbewegung im internationalen Vergleich gering erscheinen, belegt der folgende Artikel von Mark Perryman aus der britischen Zeitschrift 'Marxism Today‘. Perryman untersucht Ablauf und Wirkung der britischen Mandela-Kampagne. Ziel der Thatcher -Regierung war und ist es demnach, diejenigen auf ihre Seite zu ziehen, die keine klare Position gegenüber dem Apartheid -Regime einnehmen. An solche Leute heranzukommen, ist hingegen das Ziel der Mandela-Kampagne, die mit dem Konzert kombiniert mit einem Mandela-Freiheitsmarsch durch Großbritannien und der größten Versammlung gegen Apartheid mit 250.000 Menschen eine große Öffentlichkeit erreicht hat.

Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit der Vernachlässigung Namibias bei der Solidaritätsarbeit. Hein Möllers zitiert den SPD-Politiker Bahr, der 1976 warnte: „Nichts, was wir bisher auf dem Gebiet der Dekolonisation erlebt haben, wird soviel Aufruhr machen wie Namibia. Vietnam wird nichts dagegen sein.“ Namibia scheint nicht nur ein „blinder Fleck“ in der bundesdeutschen Öffentlichkeit zu sein, auch von der Solidaritätsbewegung wird es nur als „Stiefkind“ - so Hillebrecht - betrachtet und als „Nebenproblem und Nebenkriegsschauplatz Südafrikas gesehen“. Ein Grund hierfür ist sicherlich die schon erwähnte Uninformiertheit. Ansonsten kann Hillebrecht zu recht nur Vermutungen anstellen. Da wäre die „merkwürdige Attraktivität“ der weißen Siedler, nichts dergleichen hingegen bei den Swapo-Kämpfern. Denkt man an die Erfolge von Ches Tagebuch oder O.Cabezas Erzählung aus dem sandinistischen Befreiungskampf, so scheint das literarische Miterleben des Kampfes doch von Bedeutung für die Solidaritätsarbeit zu sein.

AIB-Dritte Welt vom Januar beinhaltet mehrere Beiträge zu Palästina (im beigefügten Sonderheft) und zu Namibia und stellt Vermutungen an über die amerikanische Außenpolitik unter Bush. Geht es nach den außenpolitischen Positionen der Republikaner und den Äußerungen Bushs, so sei keine Änderung der bisherigen Politik zu erwarten. Dennoch sprechen eine Reihe von Faktoren wie die gestärkte Mehrheit der Demokraten im Kongreß und die prekäre wirtschaftliche Situation des Landes für eine weniger aggressive Außenpolitik der Weltmacht. Nicht zuletzt führen die Autoren dies auch auf Bushs Pragmatismus zurück. In der Zeitschrift befinden sich außerdem zwei Beiträge zum 30jährigen Jubiläum der kubanischen Revolution. Horst-Eckart Gross, Vorstandsmitglied der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba, zeichnet das gewohnt positive Bild der „Besonderheiten und Beispielwirkung der kubanischen Volksrevolution“. Peter Garcia geht im zweiten Beitrag ungewöhnlich hart mit dem heutigen Kuba ins Gericht. Freilich solidarisch werden von ihm „tiefgreifende Umwälzungen“ nach dem sowjetischen Vorbild für nötig erachtet.

Ebenfalls einen Blick nach Kuba wirft die EPK-Redaktion, allerdings unter ganz anderem Vorzeichen: in der Dezemberausgabe (4/1988), die dem Thema „Tabak - Blauer Dunst für die Dritte Welt“ gewidmet ist, geht es gleich im ersten Artikel um die Zigarrenproduktion in Kuba. Wir erfahren nicht nur, wie die kunstvolle Herstellung der berühmten „Havannas“ erfolgt, sondern ebenso die besonderen Vorzüge des Zigarrenarbeiterdaseins: die Arbeitszeit wird versüßt durch Zeitungs- und Geschichtenvorlesen. Schon unter der spanischen Obrigkeit war das so üblich, wurde dann aber verboten, weil die dadurch vermittelte Bildung dem System allmählich bedrohlich wurde. Erst nach dem Befreiungskrieg konnte die Tradition wieder aufleben; der Vorleser mußte aber von den ArbeiterInnen selbst bezahlt werden. Nach der Revolution übernahm die Firma die Kosten.

Auch sonst scheinen die Arbeitsbedingungen der ZigarrenarbeiterInnen gut: die Arbeitszeit liegt bei siebeneinhalb Stunden täglich; das Rentenalter ist herabgesetzt; die ArbeiterInnen dürfen soviele Havannas rauchen, wie sie wollen (wo selbst Fidel Castro den Devisen zuliebe Verzicht leistet). Zum Schluß fragt man/frau sich bloß, warum es dennoch Nachwuchsprobleme gibt. Sollte die Arbeit doch nicht so rosig sein? Hierauf gibt die EPK keine Antwort.

Ein Abriß zur Kulturgeschichte des Rauchens läuft auf die folgende These hinaus: das Zigarettenrauchen ist ein Überbleibsel kultischer Handlungen früherer Zeiten. „Jedenfalls scheint es, als hätten die Eroberer Amerikas mit dem 'Religionskraut‘ der Indianer etwas herübergerettet, wonach in der gottverlassenen modernen Welt ein dringender Bedarf besteht.“ Ob das ironisch gemeint ist oder nicht, bleibt dem Leser/der Leserin überlassen. Weitere Beiträge behandeln verschiedene Aspekte von der Charakterisierung der Tabakpflanze bis hin zu Konzernstrategien, von Fallbeispielen tabakexportabhängiger Länder (Malawi, Zaire, Indonesien, Nicaragua) bis zu Verflechtungen von Zigarettenfirmen, deren Spuren allzuoft nach Südafrika führen; vom Zusammenhang zwischen Tabaktrocknung und Entwaldung, von „Frauen und Rauchen“ - ein Rundumschlag also auf den knapp 34 Seiten nach dem Motto: Von jedem ein bißchen. Es muß wohl erwähnt werden, daß die Beiträge ungenau und wenig gründlich sind. Man merkt das an Allgemeinplätzen wie zum Beispiel auf Seite 9, wo über zwei Spalten und groß gedruckt, besonders hervorgehoben also, steht: „Die Preispolitik erlaubt den Konzernen hohe Gewinnmargen und hält die Einkommen der Kleinbauern gering“, oder auf Seite 28: „Die Kleinbauern können im Wettbewerb um die besten Weltmarktpreise mit den Plantagengesellschaften nicht mithalten.“ Solche Binsenweisheiten hätte sich die EPK sparen können. Dennoch hat das Heft eine gewisse Berechtigung: einige Einzelaspekte zum Thema Rauchen und Dritte Welt sind zusammengetragen worden. Das Puzzle müßte nur noch verbunden und die Themen vertieft werden...

Unter dem Stichwort „Reproduktionsgeschäfte“ versammelt die ila 121, Dezember 1988, eine Reihe von Beiträgen, die aber nicht nur von Gen- und Biotechnologien oder In-Vitro -Fertilisation handeln, sondern auch Themen wie Bevölkerungspolitik, den Kinderhandel und die Adoption von Kindern aus der Dritten Welt aufgreifen. Als Dokument wird die Rede von der immer noch inhaftierten Ingrid Strobl auf dem Frankfurter Kongreß „Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien“ abgedruckt, in der die „Zusammenhänge zwischen Reproduktionstechnologien, Rassismus und Bevölkerungspolitik weltweit“ aufgedeckt werden. Heide Mertens schreibt zur Familienplanung und Bevölkerungspolitik in den achtziger Jahren. „Der Artikel gibt einen Überblick über die Argumente, Strategien und Methoden der unterschiedlichen privaten oder staatlichen Bevölkerungsplanungsorganisationen und beschreibt anschließend, wie deren Programme in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern akzeptiert werden.“ So der Vorspann. Die Länder, auf die eingegangen wird, sind: Kolumbien, Guatemala, Costa Rica, Peru, Mexiko, Dominikanische Republik, Jamaika, Brasilien, Chile. Allein die Vielzahl der Beispiele zeigt, daß in dem nur zwei Seiten langen Beitrag nichts allzu Genaues zu lesen ist. „Die Kleinfamilie lebt besser“, so ist ein Kurzbeitrag über Mexiko tituliert. Es handelt sich um die Übersetzung und gekürzte Fassung eines Artikels aus der mexikanischen Frauenzeitschrift 'fem‘, der den Wandel innerhalb der mexikanischen Familienpolitik aufzeigt. Auch das vorkolumbianische Mexiko findet Beachtung, ebenfalls in einem aus 'fem‘ übernommenen Beitrag über Schwangerschaft und Geburt im vorkolonialen Mexiko. Hört man/frau normalerweise mehr über die bevölkerungspolitischen Maßnahmen zur Senkung der Geburtenrate in Entwicklungsländern, so gibt es dennoch auch in der Dritten Welt, zum Beispiel in Brasilien, In-Vitro-Fertilisation für unfruchtbare Paare, die genug Geld in der Tasche haben. „Ein ungewöhnlicher Bericht über künstliche Befruchtung“, lautet der fünfte Artikel im Rahmen der „Reproduktionsgeschäfte“. Die brasilianische Ärztin Ana Regina Gomez dos Reis untersuchte hierzu die Äußerungen der brasilianischen Presse von 1979-85. Ob allerdings mit diesem „ungewöhnlichen Bericht“ die für die Dritte Welt entscheidenden Punkte getroffen wurden, bleibt anzuzweifeln. Womit nicht geleugnet werden soll, daß die künstliche Befruchtung auch langfristig für die Dritte Welt von Bedeutung ist.

Horrormeldungen über Babies als Organspender und Scheinadoptionen leiten zum nächsten Thema über: den Kinderhandel. Von der „Bedarfsseite“, den ungewollt kinderlosen Paaren, ausgehend, wird die Situation der Kinder in der Dritten Welt kurz charakterisiert, ebenso die der Mütter, die ihre Kinder hergeben. Von „Masthäusern“, in denen die Kleinen hochgepäppelt werden, ist die Rede und davon, wie die Adoptionen abgewickelt werden. Also noch ein Kurzabriß auf zwei Seiten.

Ein inzwischen 18jähriger Adoptivsohn, der aus Quito stammt und dessen Adoption offensichtlich nicht geglückt ist - er lebt jetzt im Heim -, vermittelt einen Eindruck über die Identitätsschwierigkeiten eines Heranwachsenden, „der weder vollständig in seine europäische Heimat integriert ist noch einen realen Bezug zu seinem Herkunftsland hat“. Diese Geschichte ist ebenso woanders zu lesen: es handelt sich um einen Nachdruck aus dem Buch Kindermarkt von Heinz G. Schmidt. Auch ein deutscher Adoptivvater wird interviewt, der ein brasilianisches Mädchen adoptiert hat; er ist sich allerdings der Problematik einer Auslandsadoption sehr bewußt.

Neben diesem Themenblock gibt es noch aktuelle Länderberichte und Hintergründe zu Brasilien, Argentinien und El Salvador. Erwähnenswert ein Beitrag über die Feministin Flora Tristan, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts unter anderem in Lima lebte.

blätter des iz3w, Postfach 5328, 7800 Freiburg, 5 DM

Informationsdienst Südliches Afrika, Blücherstraße 14, 5300 Bonn 1, 5 DM

AIB-Dritte Welt, Liebigstraße 46, 3550 Marburg, 5 DM

Entwicklungspolitische Korrespondenz, Postfach 2846, 2000 Hamburg 20, 5 DM

ila-info, Heerstraße 205, 5300 Bonn 1, 3,50 DM

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