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Halali zur neuen Rüstungsrunde

Der künftige US-Verteidigungsminister will Moskau in „Konkurrenz-Strategie“ mit überlegenen Waffensystemen zwingen / Stelldichein der Aufrüster bei der Internationalen Wehrkundetagung in München  ■  Aus München Andreas Zumach

Der designierte US-Verteidigungsminister Tower hat am Wochenende in München klargemacht, wie die Antwort des Westens auf die Abrüstungsoffensive Moskaus aussehen soll: Die Regierung Bush und der künftige Pentagon-Chef wollen ihre Verbündeten gegenüber der UdSSR auf eine „Konkurrenz -Strategie“ mit überlegenen Waffentechnologien festlegen. So dringt die neue US-Regierung auf die baldige Einführung neuer atomarer und konventioneller Waffen in Westeuropa unabhängig von den einseitigen Abrüstungsschritten der Warschauer Vertragsstaaten und deren weitreichenden Reduzierungsvorschlägen für die am 6.März in Wien beginnenden Verhandlungen. Vor der Wehrkundetagung in München legte Tower unter ausdrücklicher Berufung auf Bush die Marschroute fest: Er forderte die Verbündeten auf, „durch Konzentration unserer finanziellen Ressourcen auf die Entwicklung und Beschaffung technologisch überlegener Waffen die Sowjetunion zu zwingen, mehr Geld für Verteidigungssysteme als für bedrohliche Panzer und Interkontinentalraketen auszugeben“.

Der designierte US-Verteidigungsminister mahnte gestern außerdem die „programmgemäße Durchführung“ des Montebello -Beschlusses der Nato von 1983 über die Stationierung atomarer Luft-Boden-Raketen sowie neuer Kurzstreckenraketen und Artillerie an. Tower verlangte zudem die „Weiterführung“ der „Konventionellen Verteidigungsinitiative“ (CDI), die die Nato-Verteidigungsminister 1985 beschlossen hatten. „In absehbarer Zukunft“, so der künftige Pentagonchef, wird die Trumpfkarte der Nato in ihrer Entschlossenheit zur Modernisierung ihrer konventionellen und atomaren Streitkräfte liegen.“

Direkt vor seiner Reise nach München hatte Tower bei einer Anhörung im US-Senat bereits die „Modernisierung der Chemiewaffen“ als „schrecklich wichtig“ bezeichnet. „Wir können keinen Schirm aufspannen, der die gesamte amerikanische Bevölkerung vor der nuklearen Verbrennung bewahrt“, mit dieser Äußerung gab Tower dagegen die Reagansche Propagnada auf und reduzierte das SDI-Programm auf seine ursprüngliche militärische Funktion: die weitgehende Unverwundbarkeit der US-Raketenstellungen herzustellen. Die diesbeszügliche Forschung und Entwicklung soll auf bodengestützte Abwehrraketen konzentriert werden. Das Programm zur Entwicklung von Anti-Satellitenwaffen (ASAT) wird fortgesetzt. Bei der Wehrkundetagung forderten nahezu alle Teilnehmer der Diskussion eine „Modernisierung“ der atomaren Waffen ohne Verzögerung - darunter der eigens zu diesem Zweck nachträglich als Redner ins Programm genommene britische Außenminister Howe, aber auch die Verteidigungminister Norwegens und der Niederlande, Holst und Bolkestein sowie, als Vertreter und im Namen der Opposition zur Bush-Administration, der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses im US-Repräsentantenhaus, der Demokrat Aspin. Lediglich die drei SPD -Bundestagsabgeordneten Bahr, von Bülow und Voigt sprachen sich gegen dieserart Fortsetzung auf Seite 2

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„Modernisierung“ aus. Sie forderten umgehende Verhandlungen über atomare Kurzstreckensysteme in Europa mit dem Ziel einer beiderseitigen Null-Lösung. In einer auffällig scharf gehaltenen Erwiderung auf die Rede Bahrs am Samstagnachmittag verlangte der Niederländer Bolkestein ausdrücklich, sämtliche in der Frage der „Modernisierung“ noch anstehenden Entscheidungen auf dem Nato-Gipfel Ende April in London zu fassen und nicht wieder, wie beim Doppelbeschluß 1979, aufzusplitten. Insbesonders ging es ihm um die Lance-Nachfolge-Rakete mit einer Reichweite von knapp 500 Kilometern - „inklusive des Stationierungsbeschlusses. Bahr reagierte darauf mit der Bemer

kung, es wäre besonders pikant, „ausgerechnet am Vorabend des 50.Jahrestages des deutschen Überfalls auf Polen die Entscheidung über die Stationierung von Atomwaffen zu treffen, mit denen Polen erreicht werden kann, und die wir bislang nicht hatten“.

Einig zeigte sich Bahr in der Ablehnung der atomaren Artillerie mit dem CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Dregger. Dregger plädierte jedoch entschieden für die Ausrüstung von Flugzeugen mit Abstandwaffen und hatte auch gegen ein Lance -Nachfolgesystem nichts einzuwenden, solange seine Reichweite über die DDR hinausgeht. In den US -Haushaltsplanungen 1990/91 sind erstmals Entwicklungsgelder für eine Abstandwaffe vorgesehen, mit der unter anderem in der Bundesrepublik stationierte Flugzeuge der Typen F111, F15 E

und Tornados ausgerüstet werden sollen. Das zur Lance -Nachfolge auserkorene ATACM-System kommt in die zweite Entwicklungsphase. Der entsprechende Haushaltsansatz steigt von 7,4 Mio. Dollar im Jahr 1989 auf 32,8 Mio. 1990 und 128,6 Mio. im Jahre 1991. Bundesverteidigungminister Scholz vermied jegliche konkrete Äußerung zu diesem Thema. Er wiederholte auf Nachfragen lediglich den Beschluß des Nato -Gipfels vom März 88, sowohl konventionelle als auch atomare Waffen „up to date zu halten“ und eine „Dritte Null-Lösung“ nicht zuzulassen. Scholz: Er habe gegen eine „Umstrukturierung“ des Atomwaffenpotentials nichts einzuwenden, in deren Rahmen „atomare Artillerie zahlenmäßig einseitig reduziert und durch effektivere Versionen ersetzt wird“.

Just dieser Prozeß ist bereits in vol

lem Gange. Bis Ende 1986 wurden die 203-Millimeter-Granaten durch Nachfolgesysteme ersetzt. Derzeit läuft der Austausch der 155-Millimeter-Geschosse. Im US-Haushaltsentwurf 1990 sind nach wie vor Mittel für 925 Artilleriesysteme vorgesehen. Die Artillerie sollen die auf das bundesdeutsche Gefechtsfeld begrenzte atomare Kriegsführung ermöglichen. Auf die Beibehaltung dieser Waffenkategorie haben bislang vor allem die USA und Großbritannien gedrungen.

Mitglieder der Friedensbewegung, der SPD und der Grünen forderten am Rande der Tagung die Bundesregierung auf, „durch ihr Veto in den Nato-Gremien die Stationierung neuer Atomwaffen auf deutschem Boden“ zu verhindern. Vier friedenspolitische Fachzeitschriften starteten am Wochenende eine entsprechende Anzeigenkampagne.

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