Crisis? What Crisis?

■ Am Wochenende tagten in Moskau einige Hauptakteure der Kuba-Krise / Kuba-Krise als Mißverständnis

Die wichtigsten Informationen wurden beim Mittagessen ausgetauscht: Zur Zeit der Kuba-Krise von 1962 sollen 20 sowjetische Atomsprengköpfe auf der Insel einsatzbereit und 270.000 sowjetische und kubanische Soldaten in Alarmbereitschaft gewesen sein, um einer vermeintlich bevorstehenden US-Invasion entgegenzutreten.

Am Wochenende setzten sich in Moskau erstmals Vertreter aus allen drei seinerzeit beteiligten Staaten an einen Tisch. Die Welt hat sich im Herbst 1962 weit näher am Rand eines nuklearen Abgrunds befunden, als von den betroffenen Parteien bisher angenommen wurde. Auch die den Konflikt provozierende Haltung der Kennedy-Administration sei bisher unterschätzt worden. So lauteten zwei der Ergebnisse der auf Initiative des John-F.-Kennedy-Instituts der Harvard Universität organisierten privaten Veranstaltung.

Bis zu den Eröffnungen von Dimitri Wolkogonow, Leiter des Militärhistorischen Instituts des Moskauer Verteidigungsministeriums, hatten US-Regierungsbeamte immer behauptet, sie hätten niemals mit Sicherheit gewußt, ob die UdSSR tatsächlich Atomsprengköpfe auf Kuba gelagert hatte. Wolkogonow bestätigte, daß sich 20 weitere Sprengköpfe an Bord eines von der US-Marine gestoppten Frachters befunden hätten. Der zur Zeit der Krise im sowjetischen Raketenprogramm als Ingenieur tätige Sergei Chruschtschow meinte, falls sein Vater den Befehl erteilt hätte, hätten die Sprengköpfe in weniger als fünf Stunden auf den Raketen montiert werden können.

Der Leiter der kubanischen Delegation, Jorge Risquet Valdez, räumte ein, in Kuba habe man diesen Höhepunkt des kalten Krieges stets als einen amerikanisch-sowjetischen Showdown angesehen; zu keiner Zeit habe er oder einer seiner Kollegen Zugang zu den Militärbasen gehabt. Fidel Castro rechnete am 26. Oktober 1962 fest mit einem US-Angriff. Aus dem Bunker unter der sowjetischen Botschaft in Havana kabelte er nach Moskau die Bitte, Chruschtschow möge einen Präventivschlag mit Bestimmung New York und Washington anordnen.

Ansonsten aber, so das Resümee der US-Delegation unter Leitung des ehemaligen Verteidigungsministers McNamara, habe die Kuba-Krise auf einem Mißverständnis zwischen Kreml und Oval Office beruht: In Wirklichkeit hätten die USA zu keiner Zeit einen Angriff geplant. Allerdings habe man die Angst Moskaus und ihre Bereitschaft, Kuba zu verteidigen, unterschätzt.

Henk Raijer