: DIE HINRICHTUNG DER BILDER
■ Ulrich Görlich in der Galerie Fahnemann
Das Bildgedächtnis stelle ich mir als einen Teil des Gehirns vor, geordnet in mehrere Sektionen: private Erinnerungen, Fernsehbilder, Kinomomente, Kunstreminiszenzen. Die Bilder sickern dort weich ein und lassen einen Abdruck zurück. Irgendeine Instanz selektiert, was zum Abruf bereit liegt und was überdruckt wird. Manchmal riegeln Wächter den ganzen Bezirk gegen Neuaufnahmen ab, lassen die Bilder abprallen und vorbeizischen. Doch plötzlich, als seien die Wächter müde geworden oder die Bilder mit einer neuerfundenen Aggressionskraft ausgestattet, dringen sie mit Gewalt ein. Sie bescheiden sich nicht mehr mit einem zugeordneten Platz in einer Sektion: Sie tauchen subversiv ab, halten eine Zeitlang still, um dann unerwartet und störend am falschen Ort wieder die Oberfläche zu besetzen. Sie überziehen das Bildgedächtnis mit einer Kruste, verkleben die Eingänge. Die Ziehung der Lottozahlen, Boris Becker, Lady Di, Pfanni Knödel, Lucas Cranach, Hans Rosenthal: Die Medien haben sie wie Schutt in uns abgeladen.
Dieses Material, das zwischen öffentlich und privat keine Unterscheidungen mehr zuläßt, dessen Abdrucktiefe man nicht mehr selbst steuern kann, dessen Präsenz in keinem kontrollierbaren Verhältnis mehr zu seiner Bedeutung steht, verarbeitet Ulrich Görlich in seinen Installationen. Er läßt die Bilder für uns von der Zeit auffressen; was unser Gehirn nicht mehr schafft, leistet seine Kunst. Seine Installationen bannen den Spuk, vollziehen eine Art öffentlicher Hinrichtung der Bilder.
In der Galerie Fahnemann hat er nun, wie schon einmal 1987, Teile der Jalousien und Heizkörper mit einer speziellen Emulsion behandelt, die es ermöglicht, fotografische Reproduktionen direkt, ohne Bildträger, auf die Wand abzuziehen. Als Bilder, die von einem Ort unabhängig existieren können, transportabel und vielfach reproduzierbar sind, gibt es sie nicht mehr. Sie werden zu vergehenden Projektionen. Grau, trüb und schmierig rinnen die Entwicklerflüssigkeiten die Wände herab. Für die jetzige Installation in der Galerie Fahnemann hat Görlich Vergrößerungen privater Bilder genommen, die er als Negativ, mit allen Zufälligkeiten der Aufnahme und Entwicklung, auf die Wände klatschte. Schon am Eröffnungstag begannen die lichten Schemen von den Wänden abzuplatzen - die Projektionen lösen sich auf. Das fotografische Material taugt nicht länger dazu, Erinnerungen zu bewahren. Die langsame Zersetzung, die den Höhlengemälden der Alten erst nach Jahrtausenden, seit ihrer Wiederentdeckung durch die „zivilisierten“ Menschen, droht, holt die Bilder von heute schon jetzt ein: vielleicht ist dies ein magischer Akt der Rache für den Hochmut zu glauben, man könne sich unbeschadet von allem ein Bild machen.
kbm
Ulrich Görlich in der Galerie Fahnemann, Fasanenstraße 61, bis 18. Februar, Mo-Fr 11-18, Sa 11-14 Uhr.
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