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„Ich bin ein reinrassiger Sinto“

■ Josef Müller, Jahrgang 1932, Sinto, mit zwölf Jahren von einem deutschen Arzt zwangssterilisiert, hat vor drei Jahren erfahren, daß er einen Bruder hat / Seit 1961 bemüht er sich um seine Anerkennung als rassisch Verfolgter / Eine Berliner Biographie

So etwas kann in Deutschland wirklich nur jemand sagen, der Opfer des Faschismus ist: „Ich bin ein reinrassiger Sinto“, sagt Josef Müller. Seit drei Jahren hat er einen Hinweis auf seine Herkunft. Und seitdem läßt sie ihn nicht mehr los. Der so typisch deutsch erscheinende Name Josef Müller führt darauf zurück, daß die Sinti und Roma in den zwanziger Jahren „bürgerliche“ Namen angenommen haben.

Sein Vater war Werksmeister bei Leuna und in der USPD. Warum ihn seine Eltern nicht selbst großziehen konnten oder wollten, weiß er nicht. Bis zu seinem zwölften Lebensjahr wußte er nichts von seiner Sinto-Herkunft. „Zwar wurde immer über mich gemunkelt, und die Kinder in der Umgebung spielten nicht mit mir.“ Als ihm ein Weihnachtsmann in seinem achten Lebensjahr nichts schenkte und allen anderen Kindern schon, „fing ich zum ersten Mal an zu spüren, daß irgendetwas in meiner Umgebung nicht in Ordnung ist“. Er ist dunkelhäutig. „Als ich merkte, daß ich ein etwas dunkler Typ bin, kamen die ersten Fragen.“ Aber seine Eltern hatten immer gesagt: „Du bist einfach ein dunklerer Typ und bräunst schneller.“ „Ich wurde häufig geschlagen, vor allem von den Lehrern. Und ich wurde überbehütet von den Eltern - aus Sicherheitsgründen. Sie haben mich immer zur Schule gebracht. Sie wollten verhindern, daß ich zusammengeschlagen oder gar abgeholt werden. Es durfte unter keinen Umständen bekannt werden, daß ich ein Sinto-Kind bin.“

„Als ich dann als elf- oder zwölfjähriger in die Hitler -Jugend aufgenommen werden wollte, kam schließlich alles heraus. Meine Eltern sagten mir, daß ich gar nicht wie sie Hinz mit Nachnamen heiße, sondern Müller.“ Danach durfte er gar nicht mehr draußen spielen. Aber dann kam im November 1944 die Gestapo in seine Schulklasse. „Ich wußte ziemlich schnell, daß es um mich ging.“ Es gab eine Auseinandersetzung mit dem Lehrer, dabei guckten die beiden Gestapo-Leute Josef immer wieder an. Dann nahmen sie ihm mit und erzählten ihm, daß er eine Blinddarm-Operation zu machen habe. Oberarzt Rothmaler, der später in Flensburg Chefarzt wurde, operierte ihn. Seine Tochter ist heute Sachverständige für Zwangssterilisation über Spätschäden der Operationen. „Ich wollte fliehen, aber sie hatten mich nackt ans Bett festgebunden und dann unter Narkose operiert.“ Später wurde er von einer Widerstandsfrau entführt.

„Erst nach dem Krieg, als ich 17 war, erfuhr ich, daß ich damals sterilisiert wurde.“ Doch die wirklichen Konsequenzen wurden ihm erst im Laufe der Zeit klar. Was die Sterilisation psychisch aus ihm gemacht hat, darüber kann er immer noch nicht reden. „Das macht mich psychisch fertig.“

Josef Müller war über 30 Jahre nicht mehr in der DDR gewesen, vor drei Jahren fuhr er nach Bitterfeld, in den Ort, wo er geboren wurden. „Plötzlich stand ich wie unter einem Zwang, diese Stadt kennenzulernen. Wie ein Magnet zog es mich dorthin.“ In einem Karteikasten eines Gemeindehauses fand sich ein Taufzeugnis von Josef Müller. „Ich konnte es noch nicht einmal lesen, denn der Schein war in Sütterlin -Schrift ausgestellt.“ Aber nicht nur das. Auf dem Taufschein war noch ein Zwillingsbruder namens Vinzenz angegeben.

„Ich fing an zu heulen. Ich war wie vom Blitz getroffen, mir wurde schlecht.“ Ja, es gab einen Vinzenz Rose-Müller, geboren am 6.Januar 1932 in Bitterfeld. „Seit der Zeit finde ich keinen Schlaf mehr, und habe alles angestellt, um Vinzenz zu finden... Bisher war auch das DRK erfolglos, aber ich bin davon überzeugt, daß Vinzenz noch lebt, nur er weiß nichts von mir.“

„Einmal steht da Vinzenz Rose-Müller. Rose ist ein typischer Sinto-Name. Und dann steht da Josef Muscha Müller. Muscha ist ebenfalls ein Sinto-Name und heißt 'Beschützer‘. Ich habe alle Organe eingeschaltet. Das Internationale Rote Kreuz.“ Unheimlich viel hat er herausbekommen. Der Pfarrer, der ihn getauft hat, Boelke, lebt nicht mehr. Der andere Pate ist während der Nazi-Zeit umgebracht worden. „Inzwischen könnte es sein, daß ich gar nicht Josef Müller bin, sondern eben dieser Vinzenz und daß ich nach Josef suche.“

„Das hat mein Leben verändert.“ Seitdem ist Müller auf der Suche nach seinem Bruder. Er hat Suchdienste in 14 Ländern beauftragt. An alle erdenklichen Stellen hat er geschrieben. Damals nahm er auch zum ersten Mal Kontakt mit dem Zentralrat der Roma und Sinti in Deutschland auf. Über eine Briefaktion schließlich wurde ein Mann mit dem Namen des Paten ausfindig gemacht. Dieser lebt in Heidelberg. Josef Müller schrieb ihm drei Mal, bekam jedoch trotz Postbestätigung nie eine Antwort.

„Ich habe alles Menschenmöglich getan, um Vinzenz zu finden. Er kann doch nicht einfach weg sein.“ Das Problem sei, die Sinti lesen nicht. „Was ich produziert habe, sind Berge, Berge, Berge“, sagt er und zeigt die vielen Aktenordner voller Papiere. „Aber das bringt doch nichts. Die Sinti lesen nicht. Meine Geschichte gehört in eine Talk -Show. Dann sehen mich die Sinti vielleicht, und vielleicht erinnert sich ja irgendeiner an meine Herkunft.“

Die Berge beziehen sich auf die Anerkennungsverfahren. Seit 1961 setzt sich Müller für eine Anerkennung als rassisch Verfolgter ein. Doch ohne Erfolg. „Mir lasse ich das nicht bieten. Die anderen Sinti können vielleicht nicht lesen. Aber ich mache das nicht mit.“ Er fordert, daß Sinti und Roma in den Senat hereinkommen. „Wir Sinti und Roma sind betrogen worden. Weil wir Analphabeten sind, dachten sie, daß sie mit uns alles machen können. Wir haben Unterschriften gegeben, daß wir auf unsere Entschädigungen verzichten. Was die nicht gewöhnt sind, ist daß sich ein Sinto zur Wehr setzt.“

Aber die Rente ist ihm inzwischen nicht mehr so wichtig. „Ich will meinen Bruder finden. Und vielleicht habe ich ja noch mehr Geschwister. Meine Mutter soll zur Zeit meiner Geburt zwischen 18 und 20 Jahre alt gewesen sein. Wenn die überlebt hat, könnte sie ja mehrere Kinder gehabt haben. Denn Sinti haben ja meistens viele Kinder.“

Elisa Klapheck

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