: HARUN FAROCKI
■ Ein Schnitt oder die Rache der Fernsehleute
Am 16.Januar, in einem Beitrag der Sendung Tagesthemen, gab es einen vieldeutigen Schnitt zu sehen, einen, der mit einfachsten Mitteln komplexen Sinn erzeugte, der in einem die Sinne reizte und die Erkenntnis beförderte.
Zu sehen war: Militärmaschinen in Formation zogen einen Bogen und überflogen in niedriger Höhe von links kommend und in spitzem Winkel zur Kamera das Rollfeld - da kam von rechts eine einzelne Maschine heran und hielt auf die Gruppe zu. Jetzt, kurz bevor die Maschinen sich vermengen mußten, gab es den Schnitt, und es folgte etwas anderes: Männer, die in Bonn zu einem Pressetermin vor die Mikrofone traten.
Als die Bildszene vom Flugtag in Ramstein zum ersten Mal gezeigt wurde, sollte der Zuschauer erwarten, die einzelne Maschine von rechts werde die Gruppe von links durchdringen („Unglaublich, wie nah die aneinander vorbeifliegen!“) und bekam den Zusammenstoß zu sehen („Unglaublich, aus welcher Nähe die Kamera das erfaßt!“). Am 16.Januar, nach vielen bekanntmachenden Wiederholungen, sollte er erwarten, noch einmal den Zusammenstoß zu sehen und wurde vom Schnitt der Zensur überrascht. Politische Zensur: die Bilder sollten nicht zur Schaulust sein, vielmehr Vorgänge der Politik ins Bild setzen helfen.
Viel schönes Kino ist dabei entstanden, daß einer etwas nicht zeigen durfte und deshalb an die Stelle einer Abbildung eine Einbildung setzte, mit Mitteln der Auslassung einer Imigination Raum gab. (Der Schnitt vom 16.Januar übte unmittelbaren Zwang aus, das nicht Gezeigte in der Vorstellung zu vollenden.) Sieht man auf ein helles Zeichen und gleich danach auf eine schwarze Fläche, so wird für einen Augenblick ein Phantombild des zuvor Geschauten fortscheinen - physiologisches Nachbild. Mit Wegschneiden des Zusammenstoßens wurde eher ein Nachbild erzwungen als ein Raum der Imagination geöffnet.
Indem die Montage die Bilder so anordnete, daß die Pressekonferenz den Hintergrund für die Nachbilder vom Flugtag abgab, setzte sie das Bild von der Politik in Bonn insgeheim und mit Wirkung herab. In dieser Herabsetzung ist eine Rache der Fernsehleute an dem politischen Betrieb, der sie zwingt, Türschilder, Büroflure, Dienstwagen vor Pförtnerhäuschen - oder ein inszeniertes Scheinereignis wie eine Pressekonferenz mit ihren Aufnahme- und Schnittgeräten zu verarbeiten. Die Fernsehleute haben ständig die Aufgabe, Sachverhalte in Ereignisse zu übersetzen, am 16.Januar den üblich verwickelten Sachverhalt, daß eine vom Militärminister eingesetzte Kommission getagt hatte und zu dem Ergebnis gekommen war, Flugtage sollten weiterhin stattfinden ohne Kunstflüge. Solche Sachverhalte sind nur schief ins Bild zu setzen. Kein Sachverhalt ist in Ereignisse übersetzbar.
Der auf der Pressekonferenz vortrug, der pensionierte Fliegermilitär Steinhoff, hat ein von Brandverletzungen im Weltkrieg schrecklich entstelltes Gesicht. Der vieldeutige Schnitt verband also Flugzeuge, die im nächsten Augenblick zusammenstoßen, zu brennen anfangen, brennendes Benzin auf die Schaulustigen schütten, mit dem Bild eines vom Brand entstellten Gesichts. Eine altmodische Ideenmontage, wie sie mit dem Stummfilm außer Gebrauch kam, der wörtliche Zusammenschnitte versuchte wie „arm/reich“ und „Hund/Katze“. Wer den Beitrag vom 16.Januar machte, hat die Idee, die der Schnitt einschrieb, vielleicht nicht lesen können. Das vom Krieg entstellte Gesicht von Steinhoff war über Jahrzehnte in politischem Gebrauch der BRD. Was sollte sein gezeigtes Gesicht bedeuten: daß der Krieg schrecklich, aber unumgänglich, daß die Generäle selbst den Kopf hingehalten haben, daß die Soldaten aus Deutschland Opfer des Krieges sind? Dieser vieldeutige Gebrauch hat jeden Sinn entleert.
Der Filmemacher Harun Farocki produziert seit den 60er Jahren, ist bekannt durch seine Dokumentar- und Essay-Filme, „Etwas wird sichtbar“, „Wie man sieht“, „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges“. Er arbeitet(e) aber auch für „Sandmännchen“ und „Sesamstraße“.
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