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Flüchtlinge fordern UN-Friedenstruppe

UN-Friedenstruppe soll Afghanistan vor einem blutigen Bürgerkrieg bewahren / Trotz diplomatischer Intervention der UdSSR spitzt sich die Lage zu / Zweijährige Übergangsregierung im Gespräch / Nach den USA schließen weitere Staaten ihre Botschaften in Kabul  ■  Von Rajiv Tiwari

Neu-Delhi (ips) - Während der Zeitpunkt des sowjetischen Truppenrückzugs aus dem vom Krieg zerrissenen Afghanistan näher rückt, fordern Flüchtlinge in Indien immer dringender eine UN-Friedenstruppe, die das Land vor einem blutigen Bürgerkrieg bewahren soll. Mohamed Maiwand, Sprecher der afghanischen Flüchtlinge in Neu-Delhi, erklärte 'ips‘ gegenüber, daß die rasche Entsendung einer UN-Friedenstruppe die einzige Möglichkeit sei, einen Bürgerkrieg in Kabul und anderen wichtigen Zentren des Landes zu verhindern. Trotz einer Fülle diplomatischer Initiativen durch die Sowjetunion - am Sonntag traf der stellvertretende Premierminister Yuri Maslykov in Kabul ein - schätzen Beobachter die Lage in Afghanistan als äußerst gefährlich ein.

Laut Maiwand seien Maslykov und Verteidigungsminister Dimitry Yazov, der letzte Woche nach Kabul reiste, von Moskau zur „moralischen Durchhalteübung“ geschickt worden, um Vertrauen in den afghanischen Präsidenten Nadschibullah zu demonstrieren, dessen Zukunft nach dem 15.Februar eine offene Frage darstellt.

Der für 4.Februar angekündigte Besuch des sowjetischen Außenministers Schewardnadse in Pakistan wird als letzter Versuch gewertet, die Peschawar-Rebellenallianz zu überzeugen, Mitglieder der regierenden demokratischen Volkspartei (PDPA) in einer zukünftigen Koalitionsregierung zu akzeptieren. Die afghanischen Mudschaheddins haben diesen Vorschlag in zwei Gesprächsrunden mit dem Verhandler Yuli Vorontsov zurückgewiesen.

Außenpolitische Beobachter in Neu-Delhi bezweifeln, ob die fraktionierte Rebellenallianz in Pakistan zu einer gemeinsamen Entscheidung kommt. Wenn der gegenwärtige tote Punkt über die nächsten vierzehn Tage hinaus anhält, wird das Szenario für Afghanistan äußerst schlimm, erklärte Maiwand. Man scheine sich bereit zu machen, Kabul zu plündern, „denn jeder weiß, daß niemand allein die Macht kontrollieren kann“.

Wenn die UNO in diesem kritischen Stadium der afghanischen Krise nicht effektiv eingreift, erklären indische Diplomaten, wird das einen Schatten auf den bedeutenden Erfolg des Genfer Abkommens werfen, das ein Modell für Konfliktlösungen weltweit sein könnte.

Laut Maiwand hätten die USA und die Sowjetunion die Verantwortlichkeit, in Afghanistan den Boden zu bereiten, damit die Menschen „ihr Recht auf Selbstbestimmung“ ausüben können.

Anläßlich eines Seminars, das letzte Woche vom Institut für Blockfreienstudien - bekannt für seine prosowjetische Haltung - abgehalten wurde, schlug Maiwand ein Neun-Punkte -Programm für die Wiederherstellung der Demokratie in seinem Land vor. Es beginnt mit dem Rückzug aller afghanischen Kommunisten aus Machtpositionen in der PDPA und der Regierung.

Neben der Stationierung einer UN-Truppe schlägt Maiwand eine neutrale Vertretung in Form der traditionellen „Loy Jirgah“ vor - ohne Kommunisten und ohne Fundamentalisten. Diese Versammlung sollte einen Konsens-Kandidaten für eine zweijährige Übergangsregierung in Kabul bestimmen - ein Programm, das viele Flüchtlinge, die für den exilierten König Zahir Shar eintreten, unterstützen. Sollte es scheitern, so Maiwand, seien Massaker zwischen den verschiedenen Machtgruppen in Afghanistan unvermeidlich.

Signale für ein solches Szenario gibt es bereits. Letzte Woche töteten afghanische und sowjetische Truppen über 350 Dorfbewohner in der Region des strategischen Salang-Tunnels

-der einzigen Straßenverbindung zwischen Kabul und der sowjetischen Grenze - nachdem Rebellen unter der Führung Ahmad Shah Masouds sie eingenommen hatten, um Nahrungsmitteltransporte in die Hauptstadt zu blockieren.

In Khaiwa, an der Peripherie von Dschalalabad, töteten Mudschaheddin zahlreiche PDPA-Mitglieder und auch solche, die sie der Mitgliedschaft verdächtigten. Der pakistanische Außenminister Yakub Khan schlug einen Besuch in Saudi -Arabien vor, um das Blutvergießen in Afghanistan zu verhindern. Von dort aus sollten diplomatische Beziehungen zu Zahir Shah in Rom aufgenommen werden. In Kürze wird der ecuadorianische Außenminister Diego Cordovez in Islamabad erwartet, der bei den Vermittlungsgesprächen in Genf letztes Jahr eine wichtige Rolle spielte. Auch Perez de Cuellar wird Kabul in Kürze besuchen, erklärten Beobachter.

UN-Friedenstruppen - so die weit verbreitete Ansicht in Neu -Delhi - würde keine der Parteien Afghanistans aufgrund der internationalen Folgen angreifen. Mittlerweile hat die Entscheidung der USA, ihre Botschaft aus Kabul zu evakuieren, einen Schneeballeffekt ausgelöst: Ein Exodus von französischen, britischen, österreichischen und japanischen Diplomaten war ein Schlag gegen die Behauptung der Nadschibullah-Regierung, sie könne die Macht in Afghanistan halten.

Indien entschied am Montag, daß es seine Botschaft in Kabul trotz der sich verschlechternden Situation nicht schließen wird. Aus Vorsichtsgründen werden aber Frauen und Kinder des indischen Botschaftspersonals wahrscheinlich die Heimreise antreten.

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