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Die „Operation Molke“ beginnt

Im Atomkraftwerk Lingen wurde gestern die Testphase zur Entsorgung der Strahlenmolke eingeläutet / Die Kosten explodieren, und ein Ende ist nicht in Sicht / Verwertung der Reste bleibt weiterhin ungewiß  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Ein historisches Datum: Gestern begann im stillgelegten AKW Lingen die Entseuchung der Strahlenmolke mit einem Testlauf. Doch die Politposse um die 5.000 Tonnen Tschernobyl-Nachlaß ist noch lange nicht beendet.

Drei Monate soll die Pilotphase dauern. Zunächst wird - um die Apparaturen zu testen - unbestrahlte Molke verwendet. Mitte Februar kommen dann die ersten 40 Tonnen echter Tschernobyl-Molke in Töpfers Waschsalon, wo das radioaktive Cäsium herausgefiltert wird. Erst wenn sich die Pilotanlage bewährt hat, kann überhaupt mit dem Genehmigungsverfahren für die Großanlage begonnen werden. Sie muß wasser-, bau-, und strahlenschutzrechtlich genehmigt werden. Mit Einsprüchen der Bevölkerung wird gerechnet. Das kann dauern. Dann erst kann die Großanlage gebaut werden. Der SPD -Bundestagsabgeordnete Robert Leidinger: „Zeit und Kosten laufen davon, und eine Lösung liegt in weiter Ferne.“

Der SPD-Mann wohnt in Feldkirchen, wo ein Teil der vom Bund aufgekauften 242 Waggons des Molke-Geisterzuges seit dem 6.Februar 1987 steht. Der Rest ruht - streng bewacht - in Meppen. Zum zweiten Jahrestag, der „in aller Stille und Betretenheit“ zu begehen sei, hielt Leidinger Töpfer erneut die Rechnung unter die Nase. „Das Loch, das die Strahlenmolke in den Steuersäckel frißt, wird immer größer. Allein in Feldkirchen entstehen durch Bewachung und Lagerung Tag für Tag Kosten von 4.000 Mark.“

Die ursprünglich auf 13 Millionen Mark bezifferten Kosten werden jetzt im Hause Töpfer auf 39 Millionen Mark geschätzt. Leibinger hält dagegen. Nach seinen Recherchen wird sich der Molke-Gesamtaufwand auf mindestens 60 Millionen Mark belaufen.

Den Zustand der Molke, die seit mehr als zwei Jahren vor sich hinmodert, bezeichnet das Umweltministerium elegant als „noch befriedigend“, doch ob die Überreste der Molke nach der Entseuchung tatsächlich als Futtermittel verkauft oder gar an die Lebensmittelindustrie verscherbelt werden können, ist auch für das Haus Töpfer „noch ungeklärt“. Die Verwertung soll sich nach der Beschaffenheit des übrigbleibenden Produktes rechnen, und hier bleibt bei Töpfer ein Rest von Skepsis. Neben dem Verwesungsgrad wird vor allem der strahlende Restgehalt zu beurteilen sein, denn eine vollständige Radioaktivität von bis zu 8.000 Becquerel pro Kilo ist auch im Lingener Verfahren nicht zu erreichen.

Die entscheidende Frage, warum Bonn diesen gigantischen Aufwand treibt und die Molke nicht - wie alles radioaktive Gut - längst zur Aufbewahrung in einem der Atommüll -Zwischenlager freigegeben hat, steht weiter im Raum. Leidinger weist dazu auf eine Antwort des Bundesregierung vom Sommer 1987: Ausschlaggebend für diese Entscheidung (die Entseuchung in Lingen) war das Ziel, Erfahrungen zu sammeln, wie bei Ereignissen mit weiträumiger Freisetzung radioaktiver Stoffe die Bevölkerung unter Zugrundelegung einer eingeführten Technik mit Milchprodukten versorgt werden kann.“

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