Wir amüsieren uns zu Tode-betr.: Wahlausgang in West-Berlin

betr.: Wahlausgang

in West-Berlin

Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.

Da stehen wir nun, die deutschen Linken, hochgeschreckt von einer einzigen Meldung, und reiben uns die Augen, als könne es nicht wahr sein, daß eine kleine rechtsradikale Gruppe bei den Berliner Senatswahlen auf Anhieb und ohne große Propaganda fast acht Prozent der Stimmen bekam. Hatte wirklich keiner die Zeichen am Horizont gesehen, die das neue Unheil ankündigten? Scheinbar nicht.

Denn wer hat gefragt, wie weit wir in diesem Land schon sind, wenn die Polizei ohne Vorankündigung Demonstrationen zusammenknüppeln darf? Wer hat gefragt, wie weit wir schon wieder sind, wenn Journalisten von der Polizei verprügelt und vom Verfassungsschutz bespitzelt werden und der zuständige Innensenator sich noch nicht einmal genötigt sieht, den Hut zu nehmen? Und wer hat die ausländerfeindlichen Sprüche und Übergriffe der Rechtsradikalen ernst genommen?

Wir haben da scheinbar nicht aufgepaßt, wir haben da scheinbar den Faschismus nicht ernst genommen, vor allem aber haben auch wir, die Linken, nichts aus der Vergangenheit gelernt. Wir haben das Wort: „Wehret den Anfängen“ nicht ernst genommen, wir sind nicht radikal geworden, als es anfing.

Wir haben uns den Faschismus immer als etwas Monströses vorgestellt, mit Massenaufmärschen auf dem Reichsparteitagsgelände und Massenmorden in den KZs. Wir haben uns den Faschismus immer als etwas Intelligentes vorgestellt, als einen perfekten Plan der Kapitalisten, mit einem Propagandaminister a la Goebbels.

Wir haben den Gefreiten, den Anstreicher vergessen, wir haben vergessen, daß das, was so monströs endete, seine Wurzeln tief in den kleinbürgerlichen Wohnzimmern hatte. Wir haben übersehen, daß der Faschismus keineswegs intelligent und monströs des Weges kommt, sondern daß er sich der Dummheit bedient und leise über Hintertüren kommt.

Wir haben die Verblödung eines ganzen Volkes nicht ernst genommen. Wir haben die Schwarzwaldklinik, Dallas und die Verarschung einer ganzen Nation als einen schlechten Witz aufgefaßt. Wir haben uns mit der ganzen WG getroffen und gemeinsam Dallas gesehen, wir haben viel gelacht.

Jetzt ist uns das Lachen im Halse steckengeblieben, denn die permanente Verblödung trägt ihre Früchte. In der taz stehen auf der ersten Seite geistige Tieffluggeschichten, genau wie in der 'Bild'-Zeitung. Einem inhaltsleeren Wahlkampf sieht man sich nicht in der Lage, Inhalte entgegenzusetzen. Man macht sich lustig über die SPD-Plakate und erntet einen Lacher, wenn man das bekannte Plakat mit dem Pärchen im Bett mit dem Spruch verziert: „Wir treiben ab“.

Ja, wir amüsieren uns zu Tode, wenigstens mit dem Titel hat das Buch von Postman recht. Dabei ist gerade dieses Plakat die Allegorie auf unsere Zeit, denn die deutsche Nation (West) sitzt in den Betten und vernügt sich. Was soll man denn auch sonst machen in einer angeblich so inhaltsleeren Zeit - und nach dem Frühstück, rechtsradikal und gemein.

Und wenn die deutsche Linke nicht früher aufsteht, dann wird sie bald nichts mehr zu lachen haben.

Michel Deutscher

(...) Sieht denn dieser SPD-Politiker Momper nicht, welch Unheil er mit der (indirekten) Koalitionsaussage an diese rechte CDU heraufbeschwört? Dazu noch eine faschistoide Partei, mit einem Partei-„Chef“ Franz Schönhuber, dem ehemaligen SS-Uscha (O-Ton: Prätorianer Hitlers) im Schöneberger Rathaus mit der „Freiheitsglocke“ im Rathausturm.

Wenn jetzt in Berlin die SPD-Parteibasis nicht revoltiert und ihr Parteibuch bei Herrn Momper abgibt, wird offensichtlich, daß sie nicht bereit ist, aus der Geschichte zu lernen.

Karl Heinz Klaiber, Würzburg

Die ganze Aufregung über die Republikaner und deren Wahlergebnis ist insofern übertrieben, als daß letzteres der reale Ausdruck teutschen Wesens ist. Ob sich die Rechten (oder auch Konservativen) nun NPD, DVU, REP, CDU, CSU nennen oder ob es rechte Sozialdemokraten oder gar Realo-Grüne gibt, die „WIR DOITSCHEN“ sind allgegenwärtig, und manchmal offenbart er sich, der „häßliche Deutsche“.

Die (antiautoritäre) Linke täte gut daran, jetzt nicht Massendemos (zugunsten?) der Republikaner zu organisieren, sondern lieber das bißchen gemeinsame Bewußtsein auf Rassismus (siehe Forderungen in den LeserInnenbriefen), neue Technologien, Militärs, Entwicklungen in der Medizin, Psychiatrie, Pädagogik und eigene Utopien zu richten. Von wegen der Reaktion und so...

Gerhard Kern, Morbach

Ich hoffe nur, die AL macht nicht den Fehler und toleriert lediglich einen SPD-Senat.

Nach Hessen besteht nun wieder - wer hatte auch das gedacht - die Chance für eine sozial-ökologische Koalition. Dies könnte doch nun wahrlich ein Signal für die Wahlen in den nächsten Jahren sein.

Da wird landauf, landab von Innovation gesprochen; mit einer rot-grünen Regierung wäre der Weg frei, tatsächlich den bekannten Problemfeldern mit einer neuen Politik zu begegnen. Nicht wenige warten darauf, und die Berliner WählerInnen haben das Ihrige dazu auch gesagt.

Eine Tolerierung birgt die Gefahr, daß die SPD verstärkt grüne Themen vereinnahmt, Punkte sammelt, vielleicht gar Grüne überflüssig macht.

Also, Berliner Sozialdemokraten und Alternative, reißt Euch am Riemen und verhindert eine große Koalition - bildet selber eine. Die Zeit ist reif.

Jörg Köhler, Altbach