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Das Chaos ist eine Fiktion-betr.: Berichterstattung der Tageszeitungen zu den Anti-"Republikanern"-Demonstrationen und deren politischen Folgen

Berichterstattung der Tageszeitungen zu den Anti -„Republikaner„-Demonstrationen und deren politische Folgen

(...) Diese Partei, deren Protagonisten unter dem Deckmantel deutscher Tugenden Ausländerhaß schüren, hatte ihren großen Auftritt bereits zwei Wochen vor der Wahl. Ihre Wahlveranstaltung im ICC wurde von Anti-„Republikaner -Demonstrationen und deren blutiger Zerschlagung begleitet. Der Parteivorsitzende Schönhuber weiß solche Ereignisse aus eigener Sicht zu interpretieren. Nach seinem Verständnis sind Demonstrationen und Chaos bedeutungsgleich, und das Chaos ist für eine Partei, die endlich „Ordnung“ schaffen will, der beste Zuträger.

Doch das Chaos ist eine Fiktion. Die Macht der Presse, die diese Fiktion schürt, wird deutlich. Obwohl man einem Großteil der Presse sicher nicht den Vorwurf machen kann, „Republikaner„-freundlich zu sein, hat sie doch den Rechtsruck beflügelt. Denn die Berichterstattung über die Demonstrationen erweckte den Eindruck, Horden von losgelassenen Chaoten hätten sich über wehrlose Polizisten hergemacht, die die „friedliche“ Versammlung einer Partei beschützten, über deren wahren Charakter die Presse schwieg. Die oft großformatigen Bilder zeigten bürgerkriegsähnliche Zustände. „95 verletzte Polizisten“ prangte es von den Titelseiten ('BZ‘, 'SZ‘). Merkwürdig nur, daß sich nach Aussage eines Arztes im Klinikum Charlottenburg zwölf kerngesunde Polizisten fiktive Verletzungen attestieren lassen wollten. Wieviele DemonstrantInnenunter Polizeiknüppel gerieten, ist kaum zu ermitteln. Aus Angst vor Repressionen nahmen viele der Verprügelten ihr Recht auf Anzeige nicht wahr. Ihre Gehirnerschütterungen und Knochenbrüche heilen sie zu Hause. Denn einem Staat, der selbst friedliche Demonstrationen mit Einsatz von Videokameras überwacht und damit kriminalisiert, ist nicht uneingeschränkt zu trauen.

Die Presse lieferte durch ihre Berichterstattung über die Demonstrationen ein völlig verzerrtes Berlin-Bild. 20 Gewalttäter genügten, um 2.000 friedliche Demonstranten zu diffamieren und damit die sogenannten „Republikaner“ argumentativ zu unterstützen. Brutalitäten weniger und Sensationen fanden den Zugang zu den Titelseiten, während Friedlichkeit und Argumente vieler Tausender gegen die neofaschistische Partei auf der Strecke blieben. Das hier von der Presse gezeichnete Bild ähnelte in fataler Weise dem Katastrophengemälde des unverantwortlichen „Republikaner„ -Werbespots. Die 7,5 Prozent Wählerstimmen für eine rechtsextreme bis rechtsradikale Partei sind auch vor dem Hintergrund dieser Berichterstattung der letzten Wochen zu sehen. Damit tragen die verschiedenen Tageszeitungen eine wesentliche Mitschuld an den Erfolgen dieser „Republikaner“ und wir möchten sie hiermit auffordern, sich dieser Verantwortung zu stellen.

Sabine Carbon, Winfried Held, Lorenz Winkler, StudentInnen des Seminars für klassische Archäologie der FU Berlin

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