: „REISENDINNEN“
■ Ein neues Buch über weltreisende Frauen
Wer glückliche, anregende Wochen verleben will, nehme sich ein Boot und rudere durch Deutschland“, schlägt Marie von Bunsen in einem 1914 erschienenen Reisebericht vor freilich bloß als Ausgleichssport, denn ihr eigentliches Ziel und das neun weiterer „reis(z)ender“ Damen, die Lydia Potts in ihrer Anthologie Aufbruch und Abenteuer. Frauen -Reisen um die Welt ab 1785 vorstellt, liegt an ganz anderen Ufern. Die meist herrenlosen Frauen (unverheiratet, verwitwet oder geschieden) zieht es in aller Herren Länder, vor allem aber in die asiatischen.
Den Reigen eröffnet Lady E.Craven, die schon Ende des 18.Jahrhunderts Rußland und die Türkei bereist und sich als englische Adlige sichtlich beeindruckt zeigt von dem Freiraum der orientalischen Haremsdamen, ist doch „die Haremsfrau nur für kurze Zeit Gegenstand der männlichen Begierden und kann danach alle Vorteile des Wohlstands zusammen mit anderen Frauen genießen“. Ida Pfeiffer (1797 -1858), die ihr auf dem Fuße folgt, wagt gar zwei Weltumrundungen, die sie unter anderem nach Lateinamerika und in die Südsee führen. „Sie war die erste Frau, die ihre Reiseeindrücke schriftlich festhielt“ - indes bei weitem nicht die einzige schreibende und reisende Frau im 19.Jahrhundert, wie Lydia Potts und ihr Mitarbeiterinnenstab lebhaft belegen. Mit viel Sinn für sprechende Details haben sie die Lebens- und Reiserouten beeindruckender Frauengestalten aus drei Jahrhunderten rekonstruiert, die trotz zahlreicher Publikationen bisher im Schatten der oft minder weit gereisten Männer standen.
Reisendinnen nannten sie sich seit Ida Hahn-Hahn, die zwischen 1835 und 1845 die Welt bereiste und beschrieb. Gleich ihrer Zeitgenössin Louise Mühlbach in der Heimat die bekannte Schriftstellerin und deshalb für viele eine unbequeme Frau nutzt sie ihre weitläufigen Reisen, um „sich von familiärer Bevormundung und herrschendem Rollendiktat zu befreien“ - ein Privileg, das das 19.Jahrhundert allerdings nur den Frauen aus der Oberschicht zugestand, welche deshalb noch lange nicht die mangels Mann und dank Geld gewonnene Freiheit auch für ihre Geschlechtsgenossinnen einforderten. Progressiv waren bei aller Aufbruchstimmung wohl die wenigsten, das Autorinnenkollektiv verschweigt auch nicht den eurozentristischen, leicht überheblichen Blick, mit dem die Damen vor allem den Orient betrachteten. Spannend zu lesen trotzdem, mit welchem Wagemut und welcher Abenteuerlust sie sich in vollkommen fremde Welten stürzen, jedoch beileibe nicht immer in so große Gefahren, wie sie hinterher ihren LeserInnen vorgaukeln wollen: der obligatorische Besuch bei den Menschenfressern ist die Frauenphantasie der Reiseliteratur des 19.Jahrhunderts, deren männliches Pendant der Abstecher in den Harem darstellt.
Im 20.Jahrhundert dagegen ist die Abenteuerlust mehr ideeller Natur, Identitätssuche oft, bei mancher ein (Reise -)Leben lang, wie etwa im Fall von Alexandra David-Neel, die bald die Hälfte ihres hundertjährigen Lebens in Asien verbracht haben dürfte. Ihr gelingt es sogar, den Titel eines tibetischen Lamas - nach langjährigem asketischen und einsiedlerischen Leben im Himalaya, versteht sich verliehen zu bekommen. Und des notwendigen Perspektivwechsels wegen kommen auch noch ein paar fremdländische Damen zu Wort, die in den letzten zwei Jahrhunderten Europa bereisten. All das haben die Autorinnen mit eindrucksvollem Bildmaterial und einer kommentierten Auswahlbibliographie versehen, ein gelungenes, lange überfälliges Projekt - wenngleich wir Frauen heute schon genug Abenteuer erleben dürften, wenn wir es bloß mit Marie von Bunsens Ausgleichssport halten.
Lydia Potts (Hrsg.): „Aufbruch und Abenteuer. Frauen -Reisen um die Welt ab 1785„; Orlanda Frauenverlag, Berlin 1988, 208 Seiten (kt., frz. Broschur), DM 29,80
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