Auch ich will ein Buch

Der Streik an der Frankfurter Universität war ein kurzes Strohfeuer / StudentInnen ziehen Bilanz / Wir dokumentieren Auszüge aus der Frankfurter Studentenzeitung 'Linke Liste‘  ■ D O K U M E N T A T I O N

(...) Die Massenuniversität und ihr Scheitern, der Verfall der Bedeutung der Universität in der Gesellschaft (als Monopol der Wissensproduktion und Produktion der gesellschaftlichen Elite) sowie das Auseinanderfallen der Berufsbilder haben den Status des Studenten mit zerstört.

War noch bis vor wenigen Jahren der Status als Student in der Gesellschaft mit einem hohen Distinktionsgewinn versehen, wie vermittelt auch immer (gerade in der BRD handelte es sich immer um eine Mischung aus Bewunderung, die an das Faktum der sozialen Macht gebunden war, und Ablehnung, die sich aus einem tiefverwurzelten Intellektuellenhaß speiste), so hat sich dies in den letzten Jahren zunehmend gewandelt. Student-Sein findet in der Gesellschaft keine Bestätigung mehr. Für viele hat sich das Student-Sein selbst gewandelt: Sie bleiben bei den Eltern wohnen, auch unter Inkaufnahme langer Anfahrtswege. Universität kann dabei weniger als Spiel- und Freiraum neuer sozialer Erfahrung begriffen werden als vielmehr in der Funktion und Verlängerung von Ausbildung.

Dies führt zu einer zunehmenden Distanz unter den Studenten, denn soziale Bezüge werden nicht mehr über die Uni hergestellt, sondern verbleiben am Heimatort. Diejenigen, die einen eigenen Haushalt führen, sind größtenteils dazu gezwungen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Das Jobben ist zwar eine arge Belastung, verschafft jedoch andererseits Anerkennung, sei es auch nur abstrakt in Form von Geld. (...)

Dies führt in beiden Fällen (bei den Eltern wohnen und jobben) dazu, daß die Universität als entscheidender Ort für einen bestimmten Lebensabschnitt für die Individuen zunehmend unwichtig wird. Spielt sie keine zentrale Rolle mehr im Leben der Studierenden, so ist es auch nicht mehr zwingend, ihre Rolle in der Gesellschaft, ihre Selbstorganisation und ihre Inhalte zu reflektieren. Vielmehr wird die Forderung an sie herangetragen, den Anspruch auf Ausbildung zu erfüllen, und da stehen überfüllte Hörsäle einer erwünschten Qualifikation allemal im Wege.

Aus dieser Perspektive macht die Forderung: „Mehr Bücher! Mehr Profs! Mehr Räume!“ durchaus Sinn, ohne die Ausbildung selbst in Frage zu stellen. Dies wird auch an dem Phänomen deutlich, daß es gegen Reglementierungen nicht nur keinen Widerstand gibt, sondern diese zum Teil heftig verteidigt werden. Als Beispiele wären die Diskussionen um Zwischenprüfungen und vor allem um das Mindesteinkommen anzuführen.

Beide Beispiele kann man wieder unter dem Begriff der Anerkennung fassen. Ist die Frage der Zwischenprüfungen noch unter dem Motto: „Ohne Prüfungen schaff‘ ich nix“ vordergründig erklärt, so verbirgt sich dahinter doch ein starkes Bedürfnis nach Anleitung, klar erkennbaren Strukturen und Einordnung. Der Student, der sich in der Masse noch völlig nichtig vorkommt, ist in der Prüfung plötzlich gefordert, kann sich als Subjekt fühlen. Besteht er, so erfährt er Anerkennung, wenn auch nur abtrakt in Form einer Note. Diese Anerkennung ist ihm im normalen Vorlesungs - und Seminarbetrieb versagt. Es scheint der Eindruck vorzuherrschen, daß ohne gesellschaftliche Ankerkennung in Form bestandener Prüfungen man kein Recht hat zu studieren.

Herrschaft scheint unangreifbar geworden

Eine äußerst hitzige Debatte wurde verschiedenenorts über die Forderung nach einem Mindesteinkommen als Ersatz für das stark reduzierte und reglementierte Bafög geführt. Die Argumente dagegen waren, es sei nicht finanzierbar, und es sei ungerecht, wenn Kinder von reichen Eltern genauso unterstützt würden wie Kinder von armen Eltern. Die Frage, warum Studierende überhaupt von ihren Eltern abhängig sein sollten, wurde geflissentlich überhört. (...) Dies markiert einen Utopieverlust, die Vorstellung eines besseren Lebens jenseits individueller Karrierezwänge oder -gelüste. Ergebnis ist ein Sichabfinden oder gar Akzeptieren der Wirklichkeit.

Herrschaft scheint unangreifbar geworden zu sein, in dem Maße auch, in dem sie sich selbst verschleiert. Dieser Eindruck fußt allerdings auf realer Erfahrung, der langen Geschichte der Niederlagen von sozialen Bewegungen. Man muß nicht dabeigewesen sein, um zu lernen, daß man in seinem Protest nichts ändert. Herrschaft wird immer dort sichtbar, wo sie sich gefährdet sieht - und sei es nur in ihrer Legitimation - dort schlägt sie jedoch erbarmungslos zurück. Sie bewegt sich ständig zwischen Absorbieren, Ignorieren oder Ausgrenzen ihrer Gegner. Niemals nimmt sie sie ernst im Sinne einer gleichwertigen Auseinandersetzung. Hinter jedem scheinbaren Zuhören steht die Möglichkeit und Drohung des Knüppels.

Für die in der konservativen Restauration Aufgewachsenen werden die Bewegungsspielräume immer enger, die durch die Aufbruchstimmung der späten sechziger und frühen siebziger Jahre freigemacht wurden. Der größte Druck geht von der Arbeitsmarktsituation aus, der absichtlich hochgehaltenen Arbeitslosenquote, die die Individuen in die Anpassung zwingt und zu Bettlern um die eigene Lebenssicherung degradiert, dazu auch vom Wohnungsmarkt, der an leistungsstarken Kleinfamilien orientiert ist, sozial Schwache, Ausländer und Studenten nahezu ausgrenzt und letztere damit auch im Elternhaus festhält.

Die Sozialisation in eine ökonomische Angststimmung hinein, bei gleichzeitig unbeschränkter Konsummöglichkeit, hat dazu geführt, den Individuen jede grundsätzliche Kritik an dieser Gesellschaft auszutreiben. (...)

Politisierung macht sich in erster Linie an praktischer Erfahrung fest, die über die Widerlegung alter Deutungsmuster durch die Wirklichkeit ein Bewußtsein der eigenen Situation herstellt. In der jüngsten Geschichte wurde es immer schwieriger, politische Erfahrungen zu machen. Das neue Frankfurt und die in seinem Fahrwasser schwimmende Universität übertünchte jeden Protest oder tilgte ihn radikal, wo er allzu massiv die geputzte Fassade störte. Man denke nur daran, daß in den letzten Jahren keine Hausbesetzung länger als vier Stunden Bestand hatte. (...) Erst die Aktivitäten einzelner Fachschaften, vor allem 2 und 3, bereiteten den Boden für die Entstehung des Streiks. Dennoch herrschte die Reproduktion gängiger Politikmuster vor, die Gefahr, daß das Ganze in einer korporatistischen Interessenvertretungspolitik mündet, bestand lange Zeit.

Gefahr, daß dies alles eine Episode bleibt

Positiv ist sicher, daß die Anonymität sich durch den Streik teilweise aufgehoben hat, die Erfahrung der Vereinzelung aufgebrochen ist. Dies ist nicht nur die wichtigste Erfahrung der an dem Streik beteiligten Individuen, sondern auch grundlegend für die Schaffung von Kommunikationsstrukturen, von Austausch-, Diskussions- und Handlungsmöglichkeit der einzelnen untereinander. Die Stufe der Politisierung ist dadurch noch nicht erreicht. (...)

Die allgemeine Euphorie während der Streiktage war relativ stumpf, der eigenen Situation sehr wenig bewußt. Sie war eine Euphorie nur über sich selbst, verlor darüber den Überblick und geriet zur Selbstüberschätzung. Der Streik begann mit einem fast hysterischen Aktionismus, man hetzte von einer Aktion zur anderen, von Veranstaltung zu Veranstaltung, von Vollversammlung zu Vollversammlung. Es war, als wolle man sich jeden Moment der Selbstbesinnung abschneiden aus Furcht, es könne schon gleich wieder alles zu Ende sein.

Es ist sehr viel passiert, hat sich jedoch schnell erschöpft. Jede Aktionsform hat sich während des Streiks irgendwann totgelaufen, so blieb zum Ende hin nur noch Langeweile und der Wunsch, der Streik möge doch bald zu Ende gehen. Die Individuen haben sich zwar teilweise als Subjekte wieder wahrgenommen, ihre Handlungen allerdings nicht bewußt gesteuert, vielmehr dem Zwang ständiger Aktionen unterworfen. Die Gefahr ist, daß dies alles Episode bleibt, nicht mehr als den Stellenwert eines Urlaubs vom Unialltag besitzt. Ein Rückfall von der allgemeinen Euphorie in allgemeine Resignation wäre fatal.

Daran aber mißt sich, inwieweit eine Politisierung im Streik stattgefunden hat (und nicht daran, wieviel Tage der ZFR (Zentraler Fachschaftsrat, d.Red.) den Streik überlebt). Die Offenheit für eine Wiederaufnahme des Protestes ist gewahrt worden. Ob sie genutzt werden kann, muß die Zukunft erweisen.