: Agnelli will alleine herrschen
Der Fiat-Konzern hat die inländische Konkurrenz geschluckt - und die ausländische soll draußen bleiben ■ KON-FUSION
IM
BINNENMARKT
Teil3: Werner Raith
Der Brief, alljährlich Ende Januar abgesandt, „kann getrost als Botschaft über die Lage der Nation“ gelten, wie die linksgrüne Tageszeitung 'il manifesto‘ spottet. Tatsächlich gilt in Italien weder die Neujahrsbotschaft des Staatspräsidenten noch die Perspektivenrede der jeweiligen Ministerpräsidenten auch nur halb so viel wie der gar nicht ans Volk, sondern nur an die „lieben Aktionäre“ gerichtete jährliche Rechenschaftsbericht von Fiat-Chef Giovanni Agnelli - nebst seinen „Perspektiven für das kommende Jahr“.
Danach ist derzeit in Italien das schiere Paradies ausgebrochen, für alles und alle, für Couponschneider wie für Arbeiter, für zentrale wie periphere Produktionssektoren, kurz: fürs ganze Land. Denn: „Was gut ist für Fiat, ist gut für Italien“ - der Satz, seit den sechziger Jahren von den Turiner Managern gestreut, scheint mehr denn je zu gelten. Völlig kritiklos übernahmen die Zeitungen, kleine Meckerer ausgenommen, die Frohbotschaften des europaweit größten Familienunternehmens. Gewisse Störungen speziell der letzten Monate tauchten allenfalls noch als „Schönheitsfehler“ auf - wer könnte schon widerstehen angesichts umgerechnet an die 60 Miliarden Mark Umsatz und des darin enthaltenen Plus von mehr als 15 Prozent gegenüber dem (auch schon nicht schlechten) Vorjahr? Mehr als 275.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt Fiat in seinen Automobil- und Flugzeugwerken, dem Telekommunikations- und Mediensektor, in eigenen Finanzgesellschaften und, natürlich, im Rüstungsbereich. An die 8.000 neue Arbeitsplätze hat man geschaffen; und wenn Agnellis Prophezeiungen zutreffen, wird das alles 1989 noch besser: Die letztes Jahr in Neuinvestitionen gesteckten umgerechnet fünf Milliarden Mark sollen dann noch einmal aufgestockt werden, und weitere 15.000 Arbeiter könnte man beschäftigen.
Skeptiker wie Italiens bekanntester Gewerkschaftstheoretiker Vittorio Foa oder der Ökonomie -Professor Andrea Ginzburg lesen die Fiat-Bilanzen bereits seit Jahren etwas anders. „Die müssen“, so Ginzburg, „derzeit so oder so beweisen, wie effizient sie sind - 1992 naht, und der Griff in die EG-Kassen für Zuschüsse und Investitionshilfen muß beizeiten eingeübt werden.“ Bezeichnend, daß Fiat plötzlich den „Mezzogiorno“ entdeckt, Italiens Süden, in den die Brüsseler mehrere Dutzend Milliarden Mark Aufbau- und Strukturhilfen entsenden. Da wollen die Turiner nun reihenweise Fabriken hinstellen, speziell im Wachstumssektor Elektronik. „Außerdem“, analysiert Foa, „muß man sich sowieso ganz genau ansehen, in welchen Sektoren die Fiat-Erfolge liegen und wie das dort mittelfristig weitergeht.“
Tatsächlich gibt es derzeit eine ganze Reihe von Signalen, daß bei Fiat die Zeichen eher auf Sturm stehen - ein ganzes Bündel betriebsinterner Vorgänge hat beträchliche Irritationen bis hin in die Vorstandsetagen des Großkonzerns ausgelöst. Und diese Erschütterungen hängen durchaus mit den Details der Erfolgs-Bilanz 1988 zusammen.
Erste Probleme gab es Mitte 1988, als, zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt, die größte Einzelgewerkschaft CGIL sich weigerte, den von Fiat-Generalmanager Cesare Romiti wie alle Jahre „unterschriftsreif“ vorgelegten Tarifvertrag zu akzeptieren - seither herrscht für viele Arbeiter tarifloser Zustand. Zweiter, noch lauterer Knall: Ende 1988 schied der bis dahin als künftiger erster Mann im Management gehandelte 57jährige Vittorio Ghidella aus. Er, der bisher dem Automobilkonzern vorgestanden hatte und überdies nach dem Tod des legendären Ferrari-Herrschers Enzo die dortigen Feinstklassenwerke hätte übernehmen sollen, sah sich plötzlich vom bisherigen Vorstandssprecher, dem „alten Fuchs“ Romiti (66), blockiert, der offenbar andere Produktionspräferenzen setzt als Ghidella. „Und genau an dieser Stelle muß man auch die Bilanzen lesen“, so Foa. „Der Pkw-Sektor, auf dem Ghidella mit dem 'Uno‘ und dem 'Tipo‘ brilliert hatte - Fiat-Standbein bis heute -, beginnt auszubluten.“ Tatsächlich hat Fiat zwar 1988 mit den Pkws noch immer an die 40 Milliarden Mark eingenommen, mithin zwei Drittel des Gesamtumsatzes, und dabei noch um 14 Prozent gegenüber 1987 zugelegt. Doch trotz dieses Plus gab es kaum zusätzliche Arbeitsplätze (nicht einmal 900), und die Investitionen gingen sogar rapide zurück. Hatte man 1987 noch 2,5 Milliarden Mark Investitionen für Pkws eingesetzt, so waren es 1988 gerade noch gut zwei Milliarden: Die Perspektiven für 1989 weisen einen weiteren Rückgang aus. Die Fiat-Herrscher halten den Automarkt offenbar für gesättigt.
Die Fiat-Manager halten den Automarkt offenbar für gesättigt. Die inländische Konkurrenz hat Agnelli längst aufgekauft - Alfa Romeo gehört ihm und Lancia, Ferrari und Autobianchi auch. Ausländer hat er erfolgreich ganz draußen oder über italienspezifische Mechanismen kleingehalten: Die Japaner, die sich Anfang der achtziger Jahre über den überall aus chaotisch verschrienen italienischen Markt nach Europa hereindrücken wollten, trieb er beim Kauf eines Alfa -Zweigwerks durch gekonnte Konkurrenzangebote so in teure Versprechen hinein, daß die sonst so gewieften Manager aus Fernost am Ende die geballte Wut der Gewerkschaften auf dem Hals hatten, weil sie die Beschäftigungsgarantien nicht einhalten konnten. Wer sich in Italien ausbreiten möchte, bekommt es sofort mit den Fiat-Herren zu tun: Chrysler wollte herein, da bot Fiat einen langfristigen Vertrag an, ließ ihn dann aber platzen, weil Agnelli Ford eifersüchtig zu machen verstanden hatte, das nun Fiat mit Angeboten überschwemmte - Agnelli bot eine regelrechte „Elefantenhochzeit“ an. Als der Trautag aber kam, stand die Braut ohne Bräutigam da: Die Amerikaner hätten, so Agnelli, in Italien kommandieren wollen, und das gehe natürlich nicht. Die Ford-Manager verstanden. Nach diesem Eklat hätten sie auch mit noch so viel Geld kein Bein auf den Boden gekriegt: Patriotische Appelle, speziell gegen die Vettern in Übersee, haben in Italien noch immer gefruchtet.
Doch Paukenschläge solcher Art sind sonst eher die Ausnahme bei Fiat - die Manager des Superkonzerns ziehen die leise Art vor, und sie haben damit noch immer Erfolg gehabt. Anders als der Steilaufsteiger Carlo De Benedetti, der ganze Länder wie Belgien durch den Kauf von Trusts (in diesem Fall die Societe Generale) an sich zu bringen versucht, erfährt man bei Fiat meist erst hinterher, daß sie ihre Finger irgendwo drin haben. Als der ehrgeizige Enzo Ferrari, alterndes Symbol italienischer Rennkunst, nicht mehr weiterkonnte und Geld brauchte, stieg Fiat offiziell nur mit zehn Prozent ein. Weitere 40 Prozent übernahm eine Holding, der Rest und auch das Kommando blieb bei Ferrari. Erst nach seinem Tod voriges Jahr kam heraus, daß Agnelli längst das gesamte Aktienpaket eingesackt hatte - doch wohlerzogen hatte man dem Alten die Fiktion der Firmenleitung belassen.
Wenn sie nicht heimlich kaufen, warten die Fiat-Herrscher geduldig, bis man sie ruft: Als das Mailänder Geldinstitut Banco Ambrosiano 1981 beim Skandal um die Geheimloge „Propaganda 2“ mit einer vollen Milliarde Dollar Schulden pleite ging, wartete Agnelli, bis die Nachfolgegründung „Nuova Banco Ambrosiano“ Mitte der achtziger Jahre in Turbulenzen geriet - und stieg mit einer Sperrminorität ein; seither gilt die Banco Ambrosiano wieder als eine der potentesten Privatbanken Europas. Den Rizzoli-Konzern mit der ebenfalls am Konkurs schrammenden meinungsführenden Tageszeitung 'Coriere della Sera‘ ließ er so lange schmoren, bis die Regierung des Sozialisten Bettino Craxi Fiat formell um Beistand bat - seither partizipiert der Turiner Mogul auch an Italiens größter Tageszeitung. Über die darf er zwar aus presserechtlichen Gründen offiziell inhaltlich nicht gebieten, doch das stört Agnelli nicht, denn für den Ausdruck seiner Meinung hat er noch 'La Stampa‘, die seit jeher im Familienbesitz ist.
Auch wenn Agnelli einen Dummen braucht, der ihm mit viel Geld aushilft, zeigt er mitunter göttliche Geduld und teufliche Durchtriebenheit. Als die USA ihre ersten Angriffspläne auf Libyen ausbaldowerten, war mit den Italienern nichts zu machen: Solange der Oberst Fiat-Aktien halte (gut 15 Prozent), könne man ihn doch nicht bombardieren, ließ Agnelli die jeweils waltenden Verteidigungsminister wissen. Auf die lautstarke Aufforderung der Reagan-Falken, Fiat möge doch in Gottes Namen die Papiere zurückkaufen, stellte Agnelli sich schwerhörig; erst als die Amerikaner einen schon unterschriebenen Militär-Vertrag zum Ankauf von Lastwagen annullierten, hörte er wieder - doch an einen Rückkauf dachte er weiter nicht. Die Amerikaner mußten erkennen, daß sie ihm nun auch noch die beste aller Ausreden frei Haus geliefert hatten: Der geplatzte Vertrag habe sein flüssiges Kapital aufgebraucht, jammerte Agnelli, und jetzt sei er ziemlich klamm. So daß die Amerikaner - die verständlicherweise nicht selbst mit Gaddafi schachern konnten - zähneknirschend nach Geldgebern Ausschau hielten. Sie fanden die Deutsche Bank, die danach mit zwei Milliarden Mark einstieg. Fiat bedankte sich artig, weigerte sich aber fortan, die Anteile seinerseits bei den Deutschen auszulösen, was diese ausdrücklich zur Bedingung gemacht hatten. Sie sitzen noch heute auf den Papieren - und Agnelli hat seither einen Konzern um ein feines Stück Hochfinanz angereichert, was ihm sonst wohl nie gelungen wäre.
Ob Fiat nun im Hinblick auf 1992 doch wieder Fusionspläne speziell im Automobilsektor hegt, ist ungewiß. Mit den innereuropäischen Konkurrenten hat er sich unterderhand geeinigt: Mercedes und BMW produzieren auf Gebieten, die ihn wenig interessieren, mit VW gilt ein Stillhalteabkommen: Man geht im jeweils anderen Land Verbindungen allenfalls mit Zulieferern ein, nicht aber mit direkten Konkurrenten.
Sicher ist jedoch, daß der Turiner Konzern sich jedem in den Weg stellt, der an ihm vorbei europaweite Großkonzerne basteln will. Das bekam Olivetti-Chef De Benedetti gerade anläßlich seines Überfalls auf die belgische Societe Generale zu spüren: Obwohl er Aktien über Aktien kaufte, kam er nur auf 49,5 Prozent - zu spät erkannte er, daß Agnelli das Geschäft längst durchschaut und die Gegenseite mit Mitteln und Know-how zur Abwehr des Newcomers gestärkt hatte. Seither zieht es auch der dritte Geld-Fürst des Landes, der Landwirtschaftsherrscher Raul Gardini (Ferruzzi), trotz seiner erklärten Abneigung gegen die von ihm als provinziell verachteten Turiner Autobauer vor, sämtliche inner- wie außeritalienischen Aktionen mit Agnelli abzusprechen - selbst für die Ablösung kleinerer Unternehmensmanager sucht er das Plazet des Fiat-Chefs.
Die künftigen Expansionen von Fiat liegen vor allem im Elektronik- und Kommunikationssektor (Zunahme von Arbeitsplätzen alleine 1988 um mehr als 3.000) - und in einem Bereich, der behutsam als „Teilfertigung von Fahrgeräten“ ausgewiesen wird.
Dahinter verbirgt sich der Großteil der Rüstungsgüter, etwa in internationaler Kooperation gefertigte Flugzeuge, Panzer, Militär-Lkws. Im ausgewiesenen Umsatz von zwei Milliarden Mark stecken mehr als 30 Prozent Zuwachs, an die 4.000 Personen wurden zusätzlich zu den schon vorhandenen 27.000 eingestellt. Investitionen weisen die Fiatler dabei nur mäßige aus (um 30 Millionen Mark weniger als die 1987 hineingesteckten 400 Millionen): Folge der „Europäisierung“ vieler Produkte, wo andere Länder mitinvestieren und vor allem die Regierungen großzügig Gelder für Entwicklungen bereitstellen.
Eines immerhin belegt die Bilanz - Fiat ist und bleibt Italiens faktischer Alleinherrscher. Im Zeichen von 1992 hat der Konzern eben seine verschiedenen Leitungsgremien um zahlreiche Ausländer vergrößert und internationalisiert; für die Deutsche Bank, die gut zwei Prozent der Fiat-Aktien hält, rückte Ulrich Weiß ein, sein Postenvorgänger Kapp wird neben seinem Amt als Vizepräsident der Fiat-Tochter „Comau finanziaria“ auch noch ein Aufsichtsratsmandat bei der Fiat International Holding übernehmen.
Daß zumindest Insider dem von Agnelli verkündeten Wolbefinden des Super-Trust nicht trauen, zeigte sich am Tag nach dem „Brief an die Aktionäre“ - die Kurse der Fiat AGs sanken an allen Börsen recht kräftig ab, teilweise um drei Punkte.
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