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Erinnerungsselig

■ Zwei Tage Art Rock Festival in Frankfurt

Seit einiger Zeit weichen die Grenzen zwischen den einst getrennten Bereichen Jazz, Rock und Neue Musik auf, hybride Musik hat Konjunktur. Auf die Existenz solcher Kreuzungen machte vor zwei Jahren das erste Art Rock Festival aufmerksam. Jetzt fand in Frankfurt das zweite Festival dieser Art statt, gleichzeitig mit der Musikmesse. Wer allerdings angereist war, um Grenzüberschreitungen zu hören, wurde enttäuscht, Seitensprünge und Flirts mit den Erscheinungen aus benachbarten Klangreichen sind nicht mehr gefragt. Die Matadore - Frauen traten erst gar nicht in Erscheinung - sind müde geworden und beflügeln ihre Schöpferlust mit Erinnerungen an Altes.

Daran änderte auch Caspar Brötzmann nichts, der die rockigste Kunst vorführte: monströs röhrende Tonkaskaden mit eigenwilligen Verläufen, bei deren Kreation Brötzmanns Idol Jimi Hendrix unverkennbar Pate gestanden hat. Zwischen ein Rahmenkonzept von rhythmischen Patterns knallte er den typischen Hendrix-Sound, ohne dessen Melodieführung zu übernehmen. Seine Musik klirrt vor Kälte, die er nur durch gelegentlich eingestreute Melodiefragmente anwärmt. Den einzelnen Stücken fehlt die Differenziertheit, aber mit der ständig gesteigerten Lautstärke zieht er ohnehin alles in einen dröhnenden Klangstrudel.

Das „Penguin Cafe Orchestra“ möchte gegen eine reine Maschinenmusik anspielen. Für seine musikalischen Phantasien bedient es sich aller Stile und Kulturen, schleudert sie durch die minimalistische Cafe-Mühle und serviert das Gericht. Doch am wohlsten fühlt es sich, wenn es heimatliche Country-music auf „Penguin-Art“ zubereitet.

Im Antiquariat der Musikgeschichte sahen sich auch die „Itchy Fingers“ aus England um: Folklore, Blues und Gregorianik. Den vier Saxophonisten ist kein großer Geist heilig, aber am allerbesten finden sie sich selbst. Wie Jongleure handhaben sie ihre Instrumente, kein Rhythmus ist ihnen zu schwierig und keine Tonfolge zu schnell. In Frankfurt formierten sie sich zur „Digital Band“ mit Rhythmus-Sektion, deren klotzige Strukturen das behende Spiel der vier Bläser entwertete.

Die „U-Totems“ aus Los Angeles waren noch am ehesten mit dem Begriff Art Rock in Verbindung zu bringen. Die Gruppe hatte sich aus Mitgliedern der „Motor Totemist Guild“ und der „5 UUs“ für Frankfurt eigens formiert. Komponist James Girgsby baut aus Versatzstücken eine absolute Kunst. Den Kontrasten sind keine Grenzen gesetzt: Madrigalklänge neben Genesis, Folklore und Gentle Giant, Strawinsky zwischen nostalgischen Pop- und zeitgenössischen Computerklängen. Aber den „U-Totems“ fehlt die Bühnenpräsenz ebenso wie die Klangfülle und Präzision, mit denen ihre Platten überzeugen.

Dagegen geht es den Minimalisten um die Durchhörbarkeit des Materials. Zwar möchte Michael Nyman seine Variationenkette nicht in dieser Tradition sehen. Dennoch: Minimalistisch wirkt seine Sprache, und barock ist sein Klangkatalog. Lässig und reichlich verstimmt spielte die „Nyman-Band“ all das runter, was man auch schon aus den Greenaway-Filmen kennt

Auch aus New York kam nichts Anstößiges ins Art Rock Festival. Die sonst so experimentierfreudigen Grenzgänger Wayne Horvitz und Bill Frisell mochten sich nicht zurückerinnern, sondern verließen sich ganz auf ihr Genie und produzierten musikalische Beliebigkeit mit Sound-Sampler und Gitarre. Die Veranstalter wollten „die aufregende Pluralität, die friedliche Koexistenz unterschiedlicher Spiel- und Stilarten dokumentieren“. Wen soll das aufregen? Der Blick zurück prägt den Stand der Dinge. In Frankfurt konnte einem niemand den Kopf verdrehen.

Clair Lüdenbach

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