piwik no script img

„Walesa zahlt für die Verhandlungen einen hohen Preis“

Der ehemalige 'Polityka'-Redakteur Alexander Paszynski nimmt als Vertreter der Opposition in der Wirtschaftskommission an den Verhandlungen teil  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie erklären Sie sich, daß ausgerechnet jene Leute, die vor acht Jahren das Kriegsrecht verhängt und Solidarnosc in den Untergrund getrieben haben, nun im Politbüro die erneute Legalisierung der Gewerkschaft durchgeboxt haben?

Alexander Paszynski: Sie hatten keine andere Wahl. Die wirtschaftliche Situation im Lande hat sich so verschlechtert, daß sie mit dem Rücken zur Wand stehen. Und die Gesellschaft ist bereits an der Grenze dessen angelangt, was sie noch aushalten kann. Die acht Jahre nach Verhängung des Kriegsrechts haben keine einzige Lösung für unsere Probleme gebracht. Die Bereitschaft, sich an den runden Tisch zu setzen, war die einzige Möglichkeit, gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern.

In der letzten Zeit wurde Walesa ja sehr scharf kritisiert wegen seiner politische Linie, seiner Kompromisse. Die Danziger Arbeitsgruppe der Exekutivkommission mit Andrzej Gwiazda an der Spitze warf ihm vor, er trete zu nachgiebig auf - sogar von Verrat an der innergewerkschaftlichen Demokratie war die Rede. Bedeutet die Tatsache, daß jetzt am runden Tisch über eine Legalisierung von Solidarnosc verhandelt wird, den Sieg der Linie Walesas?

Ja, aber er ist trotzdem in einer sehr schwierigen Lage. Denn das ist nur möglich geworden durch einen sehr weitgehenden Kompromiß. Die Gruppe um Walesa geht davon aus, daß man heute in Polen keine Opposition machen kann, die nicht diese dramatische Wirklichkeit berücksichtigt, in der sich das Land befindet. Natürlich kann man sagen, alles geht den Bach runter, und wir warten ab, bis es soweit ist, und übernehmen dann die Macht. Aber das erscheint mir unrealistisch, und die Gruppe um Walesa ist der Ansicht, daß man im Moment einfach diese Bereitschaft der Regierung zu Verhandlungen ausnutzen muß. Der Preis, den er dafür zahlen muß, ist der, einer Beschleunigung der Sejmwahlen zuzustimmen und ungefähr 40 Abgeordnete in den Sejm zu schicken.

Das ist dieser alte Vorschlag von Czyrek: 40 Abgeordnete der Opposition in den Sejm?

Ja. Natürlich ist das noch Gegenstand von Verhandlungen. Aber die Wahlen sollen Ende Mai stattfinden.

Aber das werden Wahlen mit einer Einheitsliste sein.

Eben. Und das ist der Preis. Denn natürlich sind das keine freien Wahlen, wenn man im voraus die Mandatsverteilung festlegt.

Die 'Trybuna Ludu‘ schrieb, Walesa habe in das Bürgerkomitee keinen einzigen Vertreter der extremen Opposition, also der „Konföderation Unabhängiges Polen“ (KPN) oder der „Kämpfenden Solidarnosc“ aufgenommen. Sichert er so seine Kompromißlinie ab?

Ja. Und das ist auch der größte Kritikpunkt an ihm. Daß er die Staatsmacht überschätzt und deshalb zu sehr nachgibt. Und daß er damit natürlich sozusagen die Nach-Jalta-Ordnung für Polen nachträglich anerkennt als Preis für die Anerkennung gesellschaftlichen Pluralismus und der Wiederzulassung von Solidarnosc. Walesa hingegen glaubt, daß die Legalisierung der Gewerkschaft, die Wahlen, die Zulassung neuer Vereinigungen, daß das alles nur der Anfang ist und Solidarnosc in Zukunft einen stärker werdenden Einfluß auf die Staatsmacht wird ausüben können.

Mit welchen Forderungen werden Sie denn am runden Tisch Platz nehmen?

Mit der Forderung nach einer radikalen Wirtschaftsreform und einer starken Einschränkung der Staatsausgaben, vor allem in den Bereichen Polizei und Militär sowie unrentabler Industriebranchen.

Im Herbst letzten Jahres hat Ihnen Rakowski den Posten eines stellvertretenden Ministers für Wohnungsbau angeboten. Sie haben damals abgelehnt, wie andere Oppositionelle auch, weil nicht klar war, ob die Regierung zu Zugeständnissen bereit war. Wenn Rakowski jetzt wieder anrufen würde, was würden Sie ihm sagen?

Das hängt davon ab, wie die Verhandlungen am runden Tisch ausfallen. Ohne grundlegende Veränderungen unseres Systems halte ich es für falsch, daß die Opposition in die Regierung eintritt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen