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Lehrkräfte als HIV-Denunzianten

Aids-Meldepflicht an Niedersachsens Schulen: Lehrkräfte müssen ihnen bekanntgewordene Fälle an die Schulleitung melden / Ministerielle Anordnung zum Vertrauensbruch war in Protokollnotiz versteckt  ■  Aus Bremen Susanne Paas

Ab sofort sind alle Lehrkräfte an niedersächsischen Schulen verpflichtet, HIV-Infektionen von SchülerInnen, die sie durch Eltern oder die Betroffenen selbst vertraulich erfahren haben, mit vollem Namen an die Schulleiter zu melden. Von dort bekommt dann die vorgesetzte Schulbehörde Mitteilung über den Fall - dies allerdings „ohne Namensnennung“. „Das ist bei Bekanntwerden ein sehr heikles Thema, deshalb haben wir es nicht in den offiziellen Aids -Erlaß aufgenommen“, bekannte der Pressesprecher des niedersächsischen Kultusministers gegenüber der taz.

Weil das Thema so sensibel ist, wurde die ministerielle Anordnung zum Vertrauensbruch vorsichtshalber nicht in den Aids-Erlaß vom 5.7.88 aufgenommen, sondern als Protokollnotiz mit den Bezirksregierungen abgesprochen, die ihrerseits die SchulleiterInnen und diese wiederum die Lehrkräfte von ihrer neuen Denunzianten-Pflicht zu unterrichten haben.

Das ist inzwischen geschehen. „Es darf nicht sein, daß ein Lehrer etwas weiß, was der Schulleiter mit seiner Gesamtverantwortung nicht weiß“, begründete der Kultus -Pressesprecher gegenüber der taz die neue Meldepflicht. Der Vertrauensbruch spiele da keine Rolle: „Lehrer sind vor allem Amtspersonen.“

Bisher gibt es noch keine praktischen Handlungsanweisungen, aber: „Da ist die ganze Schule von betroffen, man muß gewappnet sein.“ Etwaige „Maßnahmen“ seien in jedem „Einzelfall“ zu klären. „Wofür braucht der Schulleiter die Namen?“ fragt sich auch der niedersächsische Datenschutz -Beauftragte Tebarth. Weil ihm die Begründung mit der Gesamtverantwortung des Schulleiters nicht reicht, wird er Anfang dieser Woche eine Anfrage nachschieben: Welche Maßnahmen der Schulleiter anordnen will und ob die Weitermeldung an die Schulbehörde nicht Rückschlüsse auf die betroffenen Personen zuläßt.

Widerstand gegen die unter der Hand eingeführte Aids -Meldepflicht an Schulen bildet sich inzwischen bei Schülervertretungen und Eltern. In einem offenen Brief an alle Gymnasien des Bezirks Lüneburg informiert Schülervertreterin Kim Siekmann von der SV eines Lilienthaler Gymnasiums über die „absolute Unverfrorenheit“. Die SchülerInnen überlegen schon, sich massenhaft aidskrank zu melden, um die Lehrkräfte auf die Probe zu stellen und das Problem öffentlich zu machen. Auch die Elternvertretung der gleichen Schule vermag nicht einzusehen, warum „eine so tiefgreifende Bestimmung einem angemessenen Rahmen von politischer Öffentlichkeit und Diskussion entzogen wird“ und sorgt sich um den „auf Vertrauen angewiesenen Umgang mit HIV -Infizierten in der Schule“.

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