piwik no script img

Kühle Köpfe statt falsche Euphorie

■ Dieter Kunzelmann, Ex-Abgeordneter der AL, äußert sich in einem Interview mit der taz zur AL im Koalitionsrausch / AL sollte Wahlanalyse nicht verdängen und sich in den Verhandlungen mit der SPD nicht über den Tisch ziehen lassen

taz: Vier Jahre lang hast Du Dich aus der AL-Politik zurückgezogen, warum? Willst Du jetzt wieder mitmischen?

Dieter Kunzelmann: Das weiß ich noch nicht. Ich glaube, für jemanden wie mich, der von Anfang an AL-Politik gemacht hat, ist es sehr vernünftig gewesen, sich einmal von außen die Politik der AL anzuschauen. Es gibt ja schließlich außerhalb der AL auch politische Diskussionsprozesse. Ich war als einer der Macher in der Partei immer dem Vorwurf ausgesetzt, alles an mich zu ziehen. Schon allein deshalb war es vernünftig, einmal Abstand zu gewinnen und nicht mehr zu den Machern zu gehören.

Wie war denn dieser Blick von außen?

Traurig.

Was heißt das? Kannst Du ein bißchen mehr dazu sagen? Haben sich da zwei Welten aufgetan?

Das Kleinkarierte, das „florierende Milieu einer mittleren Funktionärsschicht“ wird einem von außen sehr viel deutlicher als von innen.

Die AL ist ja über Nacht voll in einen rot-grünen Rausch geraten. Wie siehst Du als Kenner des Parteimilieus diesen doch relativ plötzlichen Umschwung mit der kaum glaubhaften Geschlossenheit für Rot-Grün?

Mindestens zwei Dinge werden in diesem Koalitionsrausch bei der AL verdrängt. Zum einen die politische Analyse des Wahlergebnisses und zum anderen die innerparteiliche Auszehrung, von der Peter Sellin beim Delegiertenrat sprach. Was die Analyse betrifft, muß man erst einmal sehr nüchtern bleiben. Im Vergleich zu 1985 hat die AL mäßige 9.000 Stimmen dazugewonnen. Von 1981 zu 1985 waren es noch über 40.000 Stimmen. Im Bezirk Wedding zum Beispiel hat die AL sowohl bei den Zweitstimmen als auch bei der BVV-Wahl Stimmen verloren. Spandau hat es sogar geschafft, bei der BVV-Wahl über 1.000 Stimmen zu verlieren.

Du betonst zwei Bezirke, die Hochburgen der „Republikaner“ geworden sind. Gibt es da Überschneidungen? Sind Protestwähler, die früher AL gewählt haben, jetzt bei den „Republikanern“ gelandet?

Sicher, nur spielen dabei die Verluste für die AL nicht so eine Rolle wie die rechten SPD-Wähler und die Wähler aus dem CDU-Wählerspektrum, die für die „Republikaner“ gestimmt haben. Zu den „Republikanern“ und ihrem Erfolg: Wer die Geschichte der CDU hier in der Stadt kennt, der weiß, daß Lummer immer ein großes Wählerpotential hatte. Ich halte die Aufregung über die „Republikaner“ zwar für berechtigt, aber auch für künstlich übertrieben. Es gab immer ein rechtes Wählerspektrum. Nur macht es sich jetzt das erste Mal aus Enttäuschung über die CDU massiv bemerkbar.

Zurück zur AL: Ich will mit meiner Verlustrechnung nicht die Erfolge in den anderen Bezirken schmälern. Aber Fakt bleibt, daß die AL ihr tatsächliches Wählerpotential von schätzungsweise 200.000 nicht auszuschöpfen in der Lage ist. Die Gründe dafür sind bekannt: alternativ-deutscher Stammtisch-Wahlkampf, verlorengegangene Attraktivität und Radikalität und vieles andere mehr. Ein letztes: Erstmals seit 1979 hat die AL WählerInnen von 1981 und 1985 verloren. Das sind die 71 Prozent Wahlbeteiligung, der aktive Wahlboykott in Kreuzberg. Das alles geht jetzt im Koalitionsrausch unter, in dem eigentlich kühle Köpfe gefragt sind und keine falsche Euphorie.

Wie erklärst Du Dir diese Euphorie jetzt, wo doch die AL eigentlich über Jahre hinweg ein miefiger linkssektiererischer Haufen war, der das rot-grüne Bündnis mit all seinen Protagonisten immer nur verteufelt hat? 1985, als Du noch Abgeordneter warst, hast Du doch selbst einen Versuch in Richtung Rot-Grün gemacht in der AL und bist damit gescheitert. Da herrschte doch nur diese typisch linke Neurose gegenüber der SPD - und jetzt dieser doch plötzliche Umschwung. Das Angebot der AL an die SPD vor der Wahl war doch relativ taktisch. Den Umschwung in der AL habe ich erst am Tag nach der Wahl gesehen und nicht als mühsamen, zehrenden innerparteilichen Klärungsprozeß erlebt.

Da ist ja das letzte Wort noch nicht gesprochen. Man wird auf Komma und i-Punkt analysieren müssen, was bei Koalitionsverhandlungen rauskommt. 1984/85 gehörte ich ja zu den Leuten, die mit einem Koalitionsangebot mit der SPD in den Wahlkampf gehen wollten, und damals sind wir kläglich in der Partei gescheitert. Und zwar an den Leuten, die heute im Koalitionsrausch beginnen, ihren Kopf zu verlieren. Und das ist nicht alles. Von der neuen Fraktion haben nicht wenige kandidiert mit der dezidierten Aussage gegen eine Koalition mit der SPD. Kommt sie tatsächlich zustande, bin ich sicher, daß niemand auf sein Mandat verzichtet. Politische Moral ist ja bei der AL nicht in Mode. Meine Befürchtung ist, daß die AL unsere Träume auf den Müll wirft und für neue gutdotierte Jobs die Inhalte verkauft. Das Elend in der Stadt wird dann nicht mehr mit Jubel, Trubel, Heiterkeit, sondern mit Rot -Grün drapiert. Dagegen wehre ich mich. Wenn eine Koalitionsvereinbarung so nichtssagend wird wie das, was Momper in dem Interview gestern in der taz erzählt hat, dann gute Nacht, Berlin.

Bisher steht ja noch nicht fest, welche berechtigte Forderung in welcher Zeit tatsächlich umgesetzt wird. Nehmen wir das Beispiel Mietenpolitik. Da argumentiert die SPD ja heute schon mit dem Bund. Und da gibts keine rot-grüne Mehrheit. Wie also soll es da weitergehen? Bei den anderen Fragen sieht es ähnlich aus.

Sagst Du, Du bist gegen Koalition, warst aber 1985 dafür?

Nein. Natürlich bin ich nicht gegen eine Koalition. Nur die Euphorie verhindert, daß tatsächliche Veränderungen in der Stadt eingeleitet werden. Mein Eindruck: Man gibt sich im Moment prinzipienlos einfach mit einer rot-grünen Koalition zufrieden. Die Koalition hat aber nur dann einen Sinn, wenn ein neuer Abschnitt in der politischen Geschichte dieser Stadt beginnt. Und dieser Abschnitt kann nur beginnen, wenn in diesen Koalitionsverhandlungen klipp und klar wird, bis zu einem zu bestimmenden Zeitpunkt müssen die Sondereinheiten der Polizei, muß die politische Staatsanwaltschaft aufgelöst, muß die Umweltkarte, Mietenfrage und all das geklärt werden.

Momper hat ja klar gemacht, daß in der Mietenfrage soviel ohne Bonn gar nicht geht. Du kannst doch da auch nur große Sprüche machen.

Wenn der politische Wille da ist, die Wohnraumfrage zu lösen, dann kann sie gelöst werden - unabhängig von dem fürchterlichen Legalitätsdenken der SPD. Wohnraum ist doch genug vorhanden, wenn die alliierten Truppen reduziert werden, was ja durchaus im Interesse einer Stadt im Wandel des Ost-West-Verhältnisses in der Gorbatschow-Ära steht. Seine Abrüstungsvorschläge müssen doch beantwortet werden, und dann wird Wohnraum frei. Es gibt keine politische Frage, die eine politische Koalition nicht klären könnte, wenn sie denn will.

Aber es muß für die Menschen in der Stadt absehbar sein, daß sich wirklich etwas ändert. Die Euphorie darf nicht dazu führen, daß man jetzt den kühlen Kopf verliert. Trotzdem geht es natürlich erst recht nicht, daß Kewenig und Diepgen weiterregieren und laufend irgendwelche Papiere im Reißwolf vernichten. Insofern muß das jetzt schon alles schnell gehen.

Kannst Du Dir denn schon einen SPD/AL-Senat konkret vorstellen?

Das geht ans Eingemachte. Die Kontrolletis müssen abgeschafft werden. Die Strafe fürs Schwarzfahren soll ja jetzt sogar auf 60 Mark erhöht werden, statt die Bestrafung von Schwarzfahren überhaupt abzuschaffen... Angenommen, es klappt mit Rot-Grün trotz dieses Erzopportunisten Momper, der immer von Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit spricht. Ich habe ihn und seine Partei aus meiner Zeit im Abgeordnetenhaus bezüglich dieser beiden Punkte in anderer Erinnerung. Man muß doch zum Beispiel einmal reflektieren, daß 82/83 Schmitti von der ersten Fraktion einen Schmücker -Untersuchungsausschuß beantragt hat, und die SPD hat das abgelehnt. Es gibt viele solcher Beispiele.

Die SPD macht eben auch Lernprozesse - auch Momper...

Also dieses staatsmännische Gehabe von Momper geht mir auch etwas auf den Wecker. Aber ich will es nicht vergleichen mit Diepgens Gequassele vom Wohl der Stadt, wo es ihm doch nur noch ums weitere Wohnrecht in seiner Dienstvilla geht. Bei aller Kritik an Momper: Ich streite auch ihm nicht ab, daß er sich verändert. Momper hat in seiner bisherigen politischen Geschichte aber auch gezeigt, daß er ein Opportunist ist. Das soll man nicht vergessen.

Das mit dem Opportunismus stimmt ja nicht so. Schließlich hat er sich mitten im Wahlkampf kräftig mit Pagels und dem Berliner DGB über die Lafontaine-Thesen angelegt.

Da ist ja unklar, wer recht hat. Aber zu der Auseinandersetzung kann ich nicht soviel sagen, da blicke ich nicht so recht durch. Wenn die Koalition zustande kommt und die AL bestimmte Positionen im Senat wahrnimmt, wer will denn die Senatsverwaltungen ausmisten. Bestimmte politische Wahlbeamte wie Müllenbrock und Co sind schnell in die Wüste geschickt, aber die anderen behalten ihren Schreibtisch und wissen ihn zu nutzen zur Verschleppung, zum Intrigantentum, zum Fallenstellen. Gerade bei Momper kommt dann noch als Regierendem Bürgermeister hinzu, daß wenn die Industriebosse niesen, die SPD Schnupfen bekommt. Und wenn die Alliierten und die Unsicherheitsorgane husten, dann versteckt sich die SPD mit schwerer Grippe im Bett. Die Veränderung dieser festgefahrenen, in die Geschicke der Stadt eingreifenden politischen Institutionen muß doch erreicht werden. Etwa die Demokratisierung der Polizei, bei der ja jetzt das Problem der wirklich Rechtsradikalen in der Polizei hinzukommt. Man darf bei all dem auch nicht vergessen, daß dieser Polizeiapparat, dieser Verfassungsschutz Produkt der SPD ist. Natürlich hat die CDU seit '81 führende Positionen im Apparat besetzt, aber die Struktur und die Ausbildungsprogramme sind alle SPD-Geschichte. Ich gehöre dabei nicht zu denen, die bei den Koalitionsverhandlungen der SPD den Mord an Karl und Rosa vorhält, das waren Leute, die heute am Verhandlungstisch für die AL sitzen und die '84 versuchten, mit der Geschichte der SPD eine Koalitionsaussage wegzudrücken. Das ist nicht meine Position, aber unterschlagen darf man nicht, daß die bestehende Polizeiorganisation Produkt von SPD-Senaten ist. Jedes Zugeständnis der SPD zu einer tatsächlichen Demokratisierung der Polizei, zu einer Reduzierung der Polizei und zu einer anderen Aufgabenbestimmung der Polizei

-etwa in Sachen Umweltkriminalität - oder unabhängiger Polizeibeauftragter, da traue ich der SPD erst, wenn es wirklich umgesetzt ist.

Wenn ich Dich richtig verstehe, hebst Du den Zeigefinger, aber bist eigentlich nicht gegen ein Bündnis?

Ich bin nach wie vor für eine Koalition, aber die AL muß verflucht aufpassen, daß sie sich nicht über den Tisch ziehen läßt. Hessen ist da ein negatives Lehrbeispiel.

Was willst Du denn für einen Posten?

Für den Sprint an die Fleischtöpfe hat mir schon immer die Luft gefehlt; außerdem werden doch staatstragende Persönlichkeiten gesucht.

Dann geht Dir ja schon wieder 'ne mögliche Staatspension flöten...

Ich glaube nicht, daß eine Pension eine gerechte Entschädigung ist für die Strafarbeit, mit Momper vier lange Jahre am gleichen Tisch sitzen zu müssen.

Interview: mtm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen