: Bewehrte Wahrheitsfindung
■ Wie die begleitenden Polizeieinsätze ins Zentrum eines Prozesses rückten, bei dem eigentlich über Polizeieinsätze hätte verhandelt werden sollen
Kurz nach drei am 2. Verhandlungstag nahm das Verfahren eine Wendung, die fraglich scheinen ließ, ob die begleitenden Polizeispiele nötig gewesen waren, damit der Richter begriff, was dem Publikum gleich schwante. Kurz nach drei stellte der Verteidiger wiederum den Antrag, daß Herr K., der Einsatzleiter des Polizeieinsatzes, um den es in der Verhandlung ging, die Zuschauerbank verlassen sollte, weil er als Zeuge in Betracht kam. Und diesmal gab Richter Klosterkemper statt. „Ja, wenn Sie das nur mit einem Satz erklärt hätten, dann hätte ich's auch verstanden.“
Die Ablehnung eben dieses Antrags am 1. Verhandlungstag (3.2.89) hatte für ungewöhnliche Polizeispiele im Amtsgericht gesorgt. Das Aussitzen des beteiligten Einsatzleiters hatte das Publikum - mit Einsprengseln aus
Schwarzledernen und Punkrasierten - zunehmend unruhig geärgert, und das schließliche Auftauchen des Richters in Begleitung verschiedener Grünuniformierter ließen die gerichtsunpäßlichen Spontaneitäten des Publikums so ins Kraut schießen, daß der Richter auf denjenigen zumarschierte, der am schwersten seine ungepflegte Fußbekleidung von der Balustrade herunterbekam, die das Gericht von der Öffentlichkeit trennt, und seinen Namen zu wissen begehrte. Der hielt das für nicht angebracht, der Richter hielt darauf Festnahme für angebracht, der sich der Namenlose durch Satz über die Balustrade zu entziehen versuchte. Dieses Gemälde juridischer Sitten stützt sich auf etwas atemlose Berichte von Betroffenen. Der Balustradenspringer soll nicht weit gekommen sein, er habe kurz
darauf im Flur gelegen. Gelegen? „Zusammengeschlagen.“
Ob das stimmt, kann ich nicht mehr feststellen, der 2.Verhandlungstag geht weiter. Und den erreicht man durch die Gesichtskontrolle von drei Grünberockten am Eingang hindurch, und in den wiederum grünberockt abgeriegelten Zuschauerraum gelangt nur, wer bereit ist, den Ausweis zu zeigen. Deshalb sitzt drinnen nur ein Schock Polizisten in Zivil, Einsatzleiter Kröger gibt sogar seine Freizeit dran, wie er gekränkt geltend macht, als der Richter ihn gehen heißt. Der Verteidiger protestiert gegen die Einschränkung der Öffentlichkeit, folgenlos, der Richter besteht auf dem Ausweis, damit nicht wieder jemand sich, wie der Balustradenspringer von gestern, unidentifiziert davonmachen kann.
Viel Martialität, viel Empö
rung des so traktierten Publikums. Aber ein Richter, der dazu gar nicht passen will. Der durch ungerührtes Nachfragen auch Distanz zum Staatsanwalt von Bock und Polach demonstriert. Der dem schnippischen Polizisten im Zeugenstand erklärt, daß der Verteidiger ein Recht zu fragen hat. Der aber vertrackt lange braucht, von seinem Eindruck Abschied zu nehmen, daß der Verteidiger nur nervt, wenn ihn der Einsatzleiter im Publikum stört und wenn er darauf herumnadelt, warum der Zeuge Polizist jemanden festgenommen hat, der ihm bekannt war, und angibt, es sei um die Personalien festzustellen. Um welchen Polizeieinsatz es in diesem polizeieinsetzenden Verfahren „eigentlich“ ging, darüber berichten wir demnächst.
Uta Stolle
Fortsetzung:14.2., 14 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen