: Hungern statt Gnadengesuch
■ Mit einem Hungerstreik versucht ein Gefangener, die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu erreichen / Er fühlt sich zu unrecht verurteilt
Es hat zwar selten einen Gefangenen gegeben, der nicht behauptet hätte, unschuldig verurteilt worden zu sein, doch Werner Guderjahn ist ein Sonderfall. Der 45jährige Kraftfahrzeugschlosser, der 1981 wegen Raubmordes an einer 75jährigen Frau zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde, kämpft seither wie kaum ein anderer um ein Wiederaufnahmeverfahren. Er beteuert, von einem Mittäter falsch belastet worden zu sein und führt dazu Beweise an - ohne Erfolg. Nachdem zwei Anträge auf Wiederaufnahme des Prozesses zurückgewiesen wurden, will Werner Guderjahn seine Freilassung aus dem Knast jetzt mit einem Hungerstreik erzwingen, den er bereits am 1. Januar begonnen hat. In einem an den „sehr geehrten Herrn Jusizsenator Rehlinger“ gerichteteten Schreiben kündigte der Gefangene inzwischen außerdem an, am 20. Februar - dem 51. Tag des Hungerns - in den Durststreik zu treten: „So daß mein Ableben noch während der Amtsperiode des derzeitigen Senats geschieht“.
Die 75jährige Frau, für die Guderjahn und der Elektroinstallateur wegen Raubmordes zu 14 bzw. zehn Jahren Haft verurteilt wurden, war mit einem Knebel im Mund tot in ihrer Wohnung gefunden worden. Guderjahn war von seinem Mitangeklagten der Tat bezichtigt worden. Für seine Unschuld hatte er später Beweise vorgelegt.
Der Fall Guderjahn ist der Justizverwaltung schon lange vor seinem Hungerstreik aufgrund der Öffentlichkeitskampagne seiner Vollzugshelferin Erkia Kaussow bekannt. Erika Kaussow, die ihr großes Engagement für Guderjahn mit dem Entzug der Genehmigung der Vollzugshelferschaft bezahlen mußte, ist bei Justizsenaten in der Salzburgerstraße gefürchtet wie kein anderer, weil sie nicht abwimmeln läßt. Die agile kleine Frau in den Mittvierzigern hat sich darauf versteift, daß Guderjahn einem Justizirrtum zum Opfer gefallen ist. Sie beauftragte schon sechs Anwälte mit dem Fall, wurde dabei von einem Betrüger um 7.000 Mark gebracht und will immer noch nicht wahrhaben, daß ein Wiederaufnahmeverfahren offensichtlich nicht mehr durchzusetzten ist. So versuchte sie sogar mit einem völlig abwegigen Antrag auf Normengerichtliche Entscheidung beim Oberwaltungsgericht die Feststellung zu erreichen, daß die hiesige Gerichtsbarkeit verfassungswidrig ist. Die Klage wurde natürlich abgewiesen, weil es ein Normenkontrollverfahren nur in Bauangelegenheiten gibt. Für Erika Kaussows Klage wäre das Verfassungsgericht zuständig, aber das gibt es in Berlin ja nicht. Die letzte Möglichkeit für Guderjahn wäre ein Antrag auf Begnadigung, doch allein bei der Erwähung des Wortes geht Erika Kaussow schon an die Decke: „Wir werden nicht um Gnade dafür winseln, sondern fordern die sofortige Freilassung.“ Doch dieses Ansinnen weist die Justizverwaltung natürlich weit von sich: Wenn alle Leute rausgelassen würden, nur weil sie hungerten, „können wir die Urteile vergessen“, erklärte Justizsprecher Christoffel.
plu
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