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Polizeiskandal: Ermittler ausgebremst

Oberstaatsanwalt im niedersächsischen Innenministerium legt Untersuchungsmandat nieder, weil er Behinderungen der Untersuchungen fürchtet / Ermittlungen standen schon vor dem Abschluß  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Der „unabhängige Sonderermittler“ der Affären bei Polizei und Verfassungsschutz im niedersächsischen Innenministerium, Oberstaatsanwalt Hans-Dieter Jeserich, hat seinen Job hingeschmissen. Der Oberstaatsanwalt, der Ende 1987 ins Ministerium abgeordnet worden war und dessen Sonderermittlungsgruppe inzwischen zehn Mitarbeiter umfaßt, will Mitte des Monats zur Generalstaatsanwaltschaft Celle zurückkehren, weil er durch organisatorische Veränderungen im Innenministerium den unabhängigen Abschluß seiner Ermittlungen gefährdet sieht. Vor dem Innenausschuß des niedersächsischen Landtages bezeichnete Jeserich gestern die im Aufbau befindliche neue Zentralabteilung von Innenminister Josef Stock als eine „Superrevisionsgruppe“, deren Einsetzung Auswirkungen auf seine Arbeit habe. In der Anfangsphase seiner Ermittlungen habe er das Gefühl gehabt, vom Innenministerium gewollt und getragen zu sein. Dies sei jetzt nicht mehr so. Jeserich widersprach einer Behauptung des Innenministeriums, er sei allein aus persönlichen Gründen zurückgetreten, und kündigte eine schriftliche Begründung seines Rücktritts an, die er dem Innenauschuß am Montag vorlegen will.

Oberstaatsanwalt Jeserich war bereits im Dezember 1987 von Hasselmann ins Innenministerium geholt worden. Die Arbeit seiner Ermittlungsgruppe diente der Landesregierung in der Öffentlichkeit immer wieder als Beweis dafür, daß mit dem „Saustall bei der Polizei “ so Hasselmann selbst, aufgeräumt werde. Die Vernehmungen von Polizeibeamten und Verfassungsschützern hat die Ermittlungsgruppe inzwischen weitgehend abgeschlossen. Die Gruppe untersuchte angeblich von der Polizei gedeckte Waffengeschäfte, illegale Lauschangriffe, Zahlungen der Versicherungswirtschaft an Polizeibeamte, ging den behaupteten Sex-Orgien von höheren Polizeibeamten nach und zuletzt auch den Verbindungen von Beamten ins Bordellmillieu.

Der Abschlußbericht über die Sonderermittlungen war zuletzt für März, jetzt wird er für den Frühsommer angekündigt. Gerade für die Erstellung dieses Abschlußberichtes, so erklärte Jeserich vor dem Innenausschuß, sei ein offenes Klima wichtig. Ein Stimmungswechsel im Innenministerium hatte sich schon vor einiger Zeit angedeutet: Minister Josef Stock mochte nicht mehr von einem „Saustall“ bei der Polizei sprechen. Seine Aussage, daß 99,9% der niedersächsischen Polizisten gesetzestreue Beamte seien, stand in auffälligen Widerspruch zu dem ersten Zwischenbericht von Oberstaatsanwalt Jeserich zur Tätigkeit der Sonderkommission Zitrone, in dem in einer Vielzahl von Fällen Polizeibeamten Gesetzesverstöße vorgeworfen wurden.

Nachfolger von Jeserich als Leiter der Sonderermittlungsgruppe soll nun der Regierungsdirektor im Innenministerium, Bodo Becker, werden. Nach Ansicht des grünen Landtagsabgeordneten Kempmann verliert die bisher nur dem Innenminister persönlich verantworliche Ermittlungsgruppe durch diesen Wechsel ihre Unabhängigkeit, da ihr nun noch ein weisunggebundener Beamten des Innenmisterium vorstehe. Grüne und SPD wollen nun die niedersächsischen Polizeiaffären durch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuß durchleuchten lassen. Dabei sei nur noch nicht klar, so sagte der SPD -Fraktionsvorsitzende, ob nun ein neuer Ausschuß eingesetzt oder der Untersuchungsauftrag des Celler-Loch-Ausschusses erweitert werde.

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