: URALT UND BLUTJUNG
■ Soogi Kang und Dance Berlin in der Theatermanufaktur
Eines hat die Tanz Initiative Berlin mit ihren Tanztagen schon jetzt bewiesen: die Gier des Publikums ist unersättlich. Selbst wenn der Besuch von Freunden und Verwandten der Auftretenden vorhersehbar war und man auf ein großes Insider-Publikum hoffte, so war doch nicht mit einem ständig vollgequetschten Ballhaus und einer ausverkauften Theatermanufaktur zu rechnen.
Die Koreanerin Soogi Kang arbeitet seit fünf Jahren in Berlin als Tänzerin und Schauspielerin. Sie berührte in ihrem kurzen Stück „Piri“ mit einer fremdartigen Intensität. Ich will nicht behaupten, ich hätte ihr Stück verstanden, zumal ich von „schamanistischen Urformen des Dramas aus Korea“, die ihren Tanz inspirierten, keinen Schimmer habe. Aber allein das Gesicht der Koreanerin schien mir hier, im Kulturkreis der glatten Larven, wie ein wilder Aufruf aus ursprünglichen Zeiten. Soogi Kang bewegte sich nur in einem kleinen Viereck aus Licht, und dies wurde zu einem Ort der Konzentration und der elementaren Erfahrungen, an dem nichts Nebensächliches mehr existierte. Ihre Präsenz auf der Bühne war nicht das „Hier und Jetzt“ des modern dance: vielmehr schien sie gleichzeitig im Lichtviereck und in einer anderen Dimension gegenwärtig. Ihre Gesten, deren Fluß sich zwar manchmal ins kaum noch Wahrnehmbare verlangsamte, aber nie zu Posen erstarrte, reichten in einen anderen Raum hinüber. Sie glich einer transparenten Hülle um ein schlagendes Herz; einer Pflanze, die sich allmählich ins Licht streckt; einem gefangenen Dämon, der in heftigen Sprüngen vergeblich an seinen Ketten zerrt. Ihre Vitalität war die alles Organischen - sei es ein unscheinbares Moos oder ein prächtiger Schmetterling - und stand dabei doch im Zeichen schwer zu fassender Transzendenz.
Danach wirkten der tänzerische Aufwand und die effektvollen Bilder von „Dance Berlin“ erstmal pompös. Doch muß man der Gruppe junger Tänzer und Tänzerinnen, die erst seit September 1988 unter der Leitung von Joseph Tmim in der Tanz Tangente zusammenarbeiten, ihren noch ungebrochenen Narzismus zugute halten. Sie wollen beweisen, daß sie gut sind und lassen keine Gelegenheit aus, ihre Energie und Kraft schillern zu lassen. Laut raschelte das den Bühnenboden bedeckende Laub, wenn sie sich - jede eine Carmen oder Leonore am Ende ihres Dramas - hineinwarfen und durch die gesamte Tiefe und Breite der Bühne wälzten. Daß aus der Choreographie von Tmim und Improvisationen der Gruppe viele schon gesehene Bilder und vor allem verehrungsvolle Pina-Bausch-Zitate entstanden, kann hier, wo es nichts von dieser Choreographin zu sehen gibt, nicht schaden und belegt den Hunger der Tänzer nach ihrer Ästhetik. Wenn die Tänzerinnen mit den prächtigen Haarmähnen sich allerdings in Gesten begaben, die noch zu groß und fremd für sie schienen, die noch nicht mit Erfahrung und Leben gefüllt waren, wurde aus dem Tanz-Theater gelegentlich eine gefällige Show.
Ein bißchen zuviel mußte die „erotische Spannung“ herhalten, um den Tänzen ein inhaltliches Gerüst zu geben. Es gelangen aber auch ironische Sequenzen: wenn zum Beispiel eine Tänzerin vor sechs leeren Stühlen ihre ritualisierte Rolle der glänzenden Erscheinung in der Gesellschaft aufgibt und verzweifelt über ihre Einsamkeit und innere Leere Bananen in sich hineinstopft und Tränenströme aus der Wasserflasche vergießt. Die Premiere von „Kar-Li Be-even Schalechet“, von dem Dance Berlin jetzt einen großen Ausschnitt zeigte, ist für den 8.März im Ballhaus vorgesehen.
KBM
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