Tunesien: Renaissance der Islamisten

Die Bewegung der islamischen Tendenz beantragte ihre Zulassung als Partei / Distanzierung von der Entwicklung im Iran / Test für das demokratische Credo des Präsidenten / Wahlen im April  ■  Aus Tunis Knut Pedersen

Kaum fünfzehn Monate nach dem Sturz des „Landesvaters“ Habib Burgiba hat die „Bewegung der islamischen Tendenz“ (MTI) in Tunis um öffentlich-rechtliche Anerkennung als Partei nachgesucht. Am Mittwoch stellte ihr Generalsekretär Abdelfattah Mourou den Antrag im neuen Namen der „Renaissance-Partei“. „Wir wollen nicht die Macht ergreifen, sondern uns ins Parteienspektrum eingliedern, um mit demokratischen Mitteln unsere Überzeugungen zu vertreten“, erklärte Generalsekretär Mourou gegenüber der taz.

Wird in Tunesien die „islamische Revolution im eigenen Land“ erprobt? Und zudem mit demokratischen Mitteln? Der tunesischen Regierung bleiben vier Monate, um auf diese Frage eine Antwort zu finden. Fällt kein ablehnender und begründeter Bescheid ein, wird die MTI nach Ablauf dieser Frist automatisch als politische Partei anerkannt.

Zwischen 1984 und 1987, zum Ende des Burgiba-Regimes, wurden zwei Dutzend „Schauprozesse“ gegen Islamisten angestrengt, von denen 25 hingerichtet oder zu Tode gefoltert wurden. Nach dem „konstitutionellen Staatsstreich“ des gegenwärtigen Präsidenten Sein el-Abidin Ben Ali, der den 85jährigen Burgiba am 7.November 1987 für „senil“ erklären ließ, sind mehr als 5.000 Islamisten begnadigt worden.

Bislang ist noch unklar, ob die Islamisten tatsächlich eine Demokratisierung der Gesellschaft anstreben. Unklar ist aber bislang auch, ob die neue politische Führung des Landes ein demokratisches System etablieren will. Im Namen der MTI versucht Abdelfattah Mourou den „theokratischen Absolutheitsanspruch“ der iranischen Revolution auf „die politische Kultur des Schiismus“ zurückzuführen, der „seit dreizehn Jahrhunderten als streitbare Minderheit gelebt hat“. Seines Erachtens trägt der sunnitische Islamismus im Maghreb „demokratische Züge, weil wir anders als die Anhänger Alis (die Schiiten, d.Red.) nicht auf den erlösenden Iman warten. Wir wollen keine theokratische, sondern eine dem Volk verantwortliche Regierung.“

Bleibt die Machtfrage angesichts einer Bewegung, die für sich in Anspruch nimmt, „rund ein Drittel der tunesischen Bevölkerung“ zu repräsentieren. Im April wird ein neuer Präsident und das Parlament gewählt. Für Ben Alis demokratisches Credo wird die Legalisierung der „Renaissance -Partei“ zur Probe aufs Exempel. Noch immer sind die Medien des Landes streng kontrolliert, und nach wie vor ist die politische Freiheit in Tunesien angesichts der präsidialen Machtfülle gering.

Um den militanten Islamismus „aus dem Ghetto in die Realität zu bringen“, ist die tunesische Linke bereit, „der MTI ihre demokratische Chance zu geben“, meint Khemais Chamari von der sozialistischen Oppositionspartei MDS. Präsident Ben Ali könnte gleichwohl versucht sein, eine bereits erprobte Doppelstrategie politischer Eindämmung und kultureller „Enteignung“ einfach fortzusetzen.

Trend zur Islamisierung

Im Laufe der vergangenen fünfzehn Monate hat seine Regierung politische Konzessionen an die Islamisten vermieden, aber gleichzeitig die „islamische Thematik“ gesellschaftsfähig gemacht: Ben Alis Pilgerreise nach Mekka ist zur meistwiederholten Sendung des tunesischen Fernsehens geworden, das im übrigen fünfmal am Tage sein Programm für den Gebetsappell des Muezzins unterbricht. Die seit 1958 abgeschlossene theologische Fakultät der Zoutina Moschee soll wiedereröffnet werden, und Koransprache, Turban und Schleier kehren ins tunesische Alltagsleben zurück. „Im Zweifelsfalle islamisiert Ben Ali lieber die Gesellschaft als den Staat“, fürchtet wohl nicht nur Cherif Khadija, Soziologieprofessor an der Universität von Tunis.