: Rechenschieber
■ Zum Urteil im Frankfurter Euthanasieprozeß
Die Massendimension der NS-Morde selbst ist es, die jene Verbrechen allen Ideen von Rechtsprechung und Gerechtigkeit entziehen. Verschiedentlich, nach dem Auschwitz- und nach dem Majdanek-Prozeß, ist aufgerechnet worden, wie wenige Minuten Haft dem Gericht ein Menschenleben wert war. Entsetzliche Rechnungen und aussichtslos überdies. Für diese Verbrechen gibt es keine adäquate Sühne in der Gerichtsbarkeit der Menschen. Wohl aber muß jedes Urteil sich daran messen lassen, ob es die Auslöschung des Rechtszustandes in jenen Jahren des Holocausts, das Töten im Namen des Staates, der Justiz, der Nation selbst zum Thema der Urteilsfindung macht. Jedes Gericht muß darauf antworten, daß sich die Täter auf ein Recht zum Töten beriefen. Und was die Opfer „immerhin“ erwarten können, ist nicht so sehr die gerechte Strafe, sondern eine Idee von Recht, daß der Unmenschlichkeit im Amt die perversen Legitimationen durch Führerbefehle zerschlägt.
Der zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat gesprochen, nicht im Sinne einer Idee des Rechts, sondern im Sinne der Buchhaltung. Sie haben die Massenmorde der Euthanasieärzte Bunke und Ullrich nachgerechnet und sind von 4.500 beziehungsweise 11.000 Fällen auf 2.340 und 9.200 Fälle gekommen, die strafrechtlich zu würdigen seien. Sie haben das Strafmaß abschließend auf die Mindeststrafe, auf drei Jahre gegenüber den ursprünglich vier Jahren, ermäßigt. Denn: Die Zahl der Morde habe sich beispielsweise bei einem Angeklagten „immerhin (!) um über (!) 16 Prozent“ verringert. Dieses „immerhin“ führt ins Bodenlose. „Immerhin“ 16 Prozent Morde weniger, das heißt „nur“ 9.200 Morde statt 11.000, das ist ein Grund für Strafminderung. Nicht das Strafmaß für 74jährige Greise empört. Vielmehr: Mit dem Wörtchen „immerhin“ wird jede Rechtsidee abgeschrieben, und die Todesbürokratie triumphiert letztlich - im abschließenden Urteil.
Klaus Hartung
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