: Wo Erwachsene wie Kinder behandelt werden
■ SchülerInnen des Zweiten Bildungsweges kämpfen für Mitbestimmung und erträgliche soziale Bedingungen / Die erwachsenen SchülerInnen müssen mit 685 Mark Bafög auskommen
Die Streiklandschaft an Berlins Hochschulen und Schulen ist vielfältiger, als auf den ersten Blick zu vermuten ist: Während an Freier und Technischer Universität für mehr Mitbestimmung und bessere Studienbedingungen gekämpft wird und sich die Pennäler nahezu einhellig gegen den Wegfall des Samstagsunterrichts und eine Kürzung der Stundentafel sträuben, geht es den SchülerInnen des Zweiten Bildungsweges, die ebenfalls seit Dezember ihre Kurse boykottieren, vor allem um die Erfüllung sozialer Forderungen.
So stehen in einem gemeinsamen Forderungskatalog des VHS -Kollegs Charlottenburg mit dem VHS-Kolleg Berlin, dem Berlin-Kolleg und der Peter-A.-Silbermann-Schule die Punkte Bafög und Soziales an erster Stelle.
„Das Abitur an einer Tagesschule des Zweiten Bildungsweges nachzuholen, bedeutet für die nächsten drei Jahre in erster Linie die Zurücksetzung in relative Armut“, beschreibt Uwe (28) vom Kolleg an der Volkshochschule (VHS) Charlottenburg die finanzielle Lage der KollegiatInnen.
Er hat wie seine MitschülerInnen erst die Kündigung seines alten Jobs vorweisen müssen, bevor er am Tages-Kolleg teilnehmen durfte. Nahezu alle SchülerInnen des Zweiten Bildungsweges sind somit auf Bafög-Förderung angewiesen, das unabhängig vom Einkommen der Eltern festgelegt wird. Bei Genehmigung des Höchssatzes liegt ihr Realeinkommen dann für die nächsten Jahre bei 685 Mark, das bei entsprechend hoher Miete noch mit 75 Mark Mietzuschuß aufgestockt werden kann.
Anders als die StudentInnen der Hochschulen haben ZBWler noch nicht einmal die Chance, ihr kärgliches Salär durch einen Nebenjob aufzubessern. „Wir dürfen im Monat maximal 290 Mark selbst hinzuverdienen“, so Gerhard (22), der wie Uwe gerade den halbjährigen Vorkurs beendet hat, „aber wer findet schon solch einen Job?“ Zudem haben viele bei 24 Pflichtkursen, mehr als 30 wöchentlichen Unterrichtsstunden und der Unterrichtsvorbereitung kaum noch Zeit fürs Jobben. So bleibt oft nichts anderes übrig, als ausschließlich vom Bafög-Satz zu leben, von dem neben Unterhalt und den Lernmitteln auch noch die Krankenversicherung finanziert werden muß.
Gerade die SchülerInnen des Zweiten Bildungsweges waren es daher auch, die am zahlreichsten und heftigsten gegen die Einführung der Gesundheits-„Reform“ protestierten, da ausgerechnet ihnen dabei ein besonderes „Geschenk“ gemacht werden sollte: Ausgehend von einem fiktiven Mindesteinkommen von 1.050 Mark, plante die Bundesregierung den SchülerInnen künftig Monat für Monat den doppelten Krankenkassenbeitrag 130 statt wie bisher 65 Mark - abzuknöpfen. Obwohl die Regelung mittlerweile vom Tisch ist, scheinen viele Krankenkassen noch nicht informiert worden zu sein und fordern noch immer den erhöhten Betrag von den Schülern.
Den ZBWlern geht es aber nicht nur ums Geld. Anders als in der gymnasialen Oberstufe des Ersten Bildungsweges ist die Mitbestimmung im ZBW nicht gesetzlich festgelegt. Gefordert wird daher die gesetzliche Verankerung eines vollparitätischen Mitbestimmungsmodells. „Bislang sieht es immer noch so aus, daß wir zwar mitwirken dürfen“, so Uwe, „wenn es aber um die Mitbestimmung geht, werden wir kastriert.“
Die SchülerInnen des VHS-Kollegs Charlottenburg verlangen ein Mitentscheidungsrecht vor allem bei der schulinternen Verteilung der Finanzen und bei der Einstellung von DozentInnen. Ähnlich wie bei den StudentInnen geht es den Studierenden der Kollegs dabei um Mitsprache bei den Unterrichtsinhalten. Dies um so mehr, da sich der Zweite Bildungsweg mittlerweile unter dem Einfluß der Kultusministerkonferenz (KMK) inhaltlich mehr und mehr den gymnasialen Oberstufen angenähert hat, obwohl es sich dabei um völlig unterschiedliche Zielgruppen handelt. „Wir lernen meist nach den abgelegten Büchern vom Ersten Bildungsweg, aber die sind einfach nicht erwachsenengerecht“, so Gerhard.
Nicht nur die Bücher, sondern auch die Ausbildung der DozentInnen wird kritisiert. Die meisten von ihnen haben ausschließlich Unterrichtserfahrungen aus dem Ersten Bildungsweg und reagieren schockiert, wenn sie feststellen, daß sie jünger sind als viele ihrer Schüler, die zuvor oft schon jahrelang im Berufsleben standen. Uwe: „Die können bei uns nicht einfach ihren gewohnten Frontalunterricht abziehen und brauchen erst mal eine Weile, ehe sie das ablegen.“
Wie an den Regelschulen und Hochschulen macht sich auch an den Kollegs nach zwei Monaten Streik und Aktionen mittlerweile Müdigkeit breit. Am VHS-Kolleg Schöneberg und am Berlin-Kolleg wurde der Streik ganz ausgesetzt, die SchülerInnen des VHS-Kollegs Charlottenburg boykottieren nur noch einen Teil ihrer Fächer, um die alternativen Arbeitsgruppen aufrechtzuerhalten. Dafür wird seit Mittwoch über die Umsetzung der Forderungen nach alternativen Unterrichtsmodellen diskutiert.
„Wir wollen mehr Projektunterricht und weg vom starren Schüler-Lehrer-Verhältnis“, so ein Kollegiat. „Das können wir aber nur im Unterricht versuchen und nicht im Streik.“
Christine Dankbar
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