: Ob Bunker oder Rasen: In Ellweiler strahlt alles
17.000 Kubikmeter verstrahlter Sand aus der Urananlage „Gewerkschaft Brunhilde“ wurden zwischen 1961 und 1978 für den Bau von Häusern, Straßen und Wegen verwendet / Streit um die Meßwerte: „Krebsrisiken gibt's viele“ ■ Von Hans Thomas
Idar-Oberstein (taz) - Keine Telefonnummer bei der Postauskunft, nicht mal ein Zettel an der Tür: Gut versteckt im fünften Stock des Idar-Obersteiner Finanzamtes präsentiert sich die bundesweit erste „Beratungsstelle für radioaktive Belastung in Gebäuden“ als schlichte Amtsstube. Vom neuen rheinland-pfälzischen Umweltminister Beth etwas großspurig angekündigt, ist die „Beratungsstelle“ schlicht das Büro von Martin Luy, bei der staatlichen Gewerbeaufsicht zuständig für die Kontrolle der umstrittenen Urananlage „Gewerkschaft Brunhilde“ im benachbarten Ellweiler. Außer zwei Geigerzählern deutet nur ein abgelegtes Dosimeter auf das Arbeitsfeld des „Beraters“ hin. Das trägt Luy außer Haus stets bei sich. „Ich bin in letzter Zeit öfter in der Anlage“, erklärt er und fügt hinzu, es habe noch nie eine radioaktive Belastung seines Körpers angezeigt.
Um so mehr strahlt es dafür an anderen Stellen in der Urananlage, die als einziger Betrieb in der Republik aus Uranerz Urankonzentrat für die Weiterverwendung in AKW -Brennstäben herstellt: In einem Wohnhaus nahe Ellweiler registrierten Wissenschaftler der Homburger Uni 4.000 bis 6.000 Becquerel des radioaktiven Edelgases Radon pro Kubikmeter Raumluft. Der von Bürgerinitiativen vermutete Grund für die 200fache Überschreitung der als „tolerabel“ angesehenen Radon-Werte: Das Haus ist ebenso wie viele andere mit radioaktiv verseuchtem Sand aus der Urananlage gebaut worden. Zwischen 1961 und 1978 wurde der verseuchte Sand von den Halden der „Brunhilde“ weggekarrt und auf Baustellen für Häuser, Straßen und Wege im Umkreis von rund 30 Kilometern abgeladen. Auch beim Bau des Truppenübungsplatzes Baumholder und des atombombensicheren Nato-Kriegshauptquartiers Europa Mitte bei Hermeskeil wurde der verstrahlte Sand massenhaft verwendet. Wieviel in Beton oder Innenputz von Wohnungswänden weiterstrahlt, weiß niemand so genau. Beths Vorgänger, Hans-Otto Wilhelm (CDU), mußte sich ganz auf die Angaben der „Brunhilde„-Leitung verlassen: 17.000 Kubikmeter. Dem Skandal auf die Spur gekommen waren die Grünen, denen aufgefallen war, daß die Anlage zwar seit 1961 existiert, die Abfallhalden mit Schlacke und Sand aber erst seit 1978 in den Himmel wachsen.
Das Heidelberger „Umwelt- und Prognoseinstitut“ (UPI) schätzt, daß aus den 17.000 Kubikmetern Sand aus Ellweiler „einige hundert (wenn 69 bis 80 Prozent des Materials für andere Zwecke als den Häuserbau verwendet wurden) bis maximal über 2.000 Häuser mit radioaktivem Abraum gebaut wurden“. Die Strahlenbelastung in den betroffenen Häusern liegt laut UPI-Modellrechnungen beim 13- bis 300fachen des Grenzwertes der Strahlenschutzverordnung. BewohnerInnen dieser Häuser müßten mit einem um 10 bis 260 Prozent erhöhten Krebsrisiko leben, schreibt UPI in einem von den Grünen in Auftrag gegebenen Gutachten.
Obwohl man über die genaue Menge des verwendeten Sandes nichts sagen könne, hält Martin Luy die Daten der UPI -Wissenschaftler, „ohne zu beschönigen“, für „völlig unmöglich“. Messungen seines Amts an 171 öffentlichen Gebäuden hätten nur in zwei Fällen überhöhte Werte ergeben. Einmal habe sogar der Ratschlag ausgereicht, den strahlenden Putz von der Wand zu brechen. Ellweiler liege nun mal in einer von Uranadern durchzogenen Gegend, und „Krebsrisiken gibt's viele“, sagt Luy und klopft mit den Fingern auf seinen vollen Aschenbecher.
Dennoch nehme er die Sorgen in der Bevölkerung ernst; auch der Bürgerinitiative, die regelmäßig höhere Strahlenwerte mißt als er, will er keine unlauteren Motive unterstellen. Anders Ellweilers Bürgermeister Spreier. Von einer Verunsicherung in der Bevölkerung könne keine Rede sein. „Bürgerinitiativen und Grünen“ ginge es nur darum, der Atomenergie überall Steine in den Weg zu legen, meint er. Verständnis habe er nur für eine Familie, „die wirklich betroffen“ sei. Damit spielt er auf die Raststätte unmittelbar gegenüber der Urananlage an. Dort liegt die Strahlenbelastung laut UPI um 2.000 Prozent über den Grenzwerten. Der Mann der Pächterin kann das Ergebnis der Klage seiner Frau gegen die „Brunhilde“ nicht mehr erleben. Er starb 52jährig. An Lungenkrebs.
Mit der „Beratungsstelle“ „wollen und müssen wir die Leute beruhigen“, sagt Luy. Er zeigt den Leuten immer den Vergleich: Der Rasen im Garten strahle ebenso wie die mit Ellweiler-Sand gebauten Häuser. Das beruhigt.
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