: Abzug aus Afghanistan - ein Fest
■ „Islamischer Verein für afghanische Flüchtlinge in Bremen“ feierte Niederlage der Roten Armee / Die meisten beziehen Sozialhilfe und werden geduldet - ohne zu wissen, wie lange noch
Die AfghanInnen in Bremen sind die ersten in der Bundesrepublik, die den Abzug der sowjetischen Soldaten aus ihrer Heimat mit einem großen Fest begingen. Sie hatten in ihrer Ungeduld nicht den offiziellen Abzugstermin abgewartet und deshalb schon irritierte Anrufe aus anderen Städten bekommen. Der afghanisch-bremische Ökonom Jamshid Saberi gestern zum Anlaß der Feier: „Das ist ein Tag für alle Völker, die unterdrückt worden sind. Und ich hoffe, daß auch die Sowjetunion diesen Tag nie vergißt, und so etwas nie wieder mit den Afghanen oder einem anderen Volk tut“.
Das sonntägliche Familienfest fand gestern statt im großen Saal des Konsul-Hackfeld-Hauses. Rund 120 afghanische Gäste waren gekommen, hatten sich freundlich von Frau zu Frau und
von Mann zu Mann mit Wangenküssen begrüßt, mitgebrachte Köstlichkeiten auf dem langen Buffet abgestellt und Platz genommen. Tee mit Kardamon, Kuchen und Süßigkeiten nach afghanischen Rezepten und kunstvoll aufgeschichtete Orangenhügel warteten auf den Sturm aufs Buffet. Denn zunächst gab es noch Reden, Tänze und „islamisch -revolutionäre“ Lieder. Kinder flitzten in ihren farbenprächtigen afghanischen Festgewändern zwischen den Stuhlreihen durch. Frauen in streng-zugeknöpfter fundamentalistischer Manier suchte das kritische Reporterinnenauge vergeblich.
An der Stirnwand des Saales hing ein Transparent in grün, der Farbe des Islams, mit einer Aufschrift in großen Koran -Lettern: „Gott ist groß und Mohamed sein Prophet.“ Auf den anderen bei
den weißen Transparenten stand zu lesen: „Es lebe die islamische Bewegung in Afghanistan“ und „Nieder mit dem KGB, nieder mit dem CIA“.
„Das mit dem Islam darfst Du nicht negativ auslegen, bei einem Volk, das zu 99 Prozent aus Moslems besteht. Die Auslegung des Korans ist eine ganz andere Sache“, erklärt der in der Flüchtlingsarbeit engagierte Ökonom Jamshid Saberi der Reporterin, die ihn sofort mit den Negativ -Beispielen Iran und Sudan konfrontierte. Saberi: „Wir sind ein Vielvölkerstaat. In Afghanistan kann man nicht so leicht von einer Nation sprechen, wie im Iran. Außerdem gibt es bei uns nicht nur Schiiten, sondern zu 70 Prozent Sunniten. Schon aus diesen Gründen wird es in Afghansitan eine andere Regierung geben als im Iran.“ Ein anderer Gesprächs
partner, ein Student, findet ebenfalls, daß die neue Regierung in Afghanistan „islamisch und demokratisch“ sein wird. Dem Vorbild Iran ist er jedoch sehr zugetan und findet, es sei reine Propaganda zu behaupten, im Iran seien kürzlich tausender politischer Gefangener ermordet worden oder im Iran würden Frauen eingeschränkt.
Organisiert hatte das Fest der „Islamische Verein für afghanische Flüchtlinge in Bremen“. 80 Prozent der Flüchtlinge aus Afghanistan und damit auch rund 80 Prozent der Gäste auf dem Fest gestern leben von Sozialhilfe. Asyl haben nur diejenigen unter ihnen bekommen, die in den ersten Jahren nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Bundesrepublik flohen. Sie wurden als „Antikommunisten“ noch mit offenen Armen empfangen. Doch
als mehr ihrer Landsleute nachkamen - gegenwärtig leben rund 5.500 AfghanInnen in der BRD - wurden diese nur noch „geduldet“: Ohne das Recht auf Arbeit und ohne das Recht Bremen über einen Umkreis von 30 Kilometer zu verlassen. Sie alle müssen nun damit rechnen, daß die „Duldung“ bald zurückgenommen und sie ausgewiesen werden. Der afghanische Verein hat eine Schule aufgebaut, in der rund 30 Kinder afghanische Geschichte, Religion und Sprachen lernen - und sich so auf eine Rückkehr vorzubereiten.
Ausgelassen war die Freude darüber, daß sie „die Russen weggejagt“ haben, gestern unter den Gästen nicht. Immer wieder fielen Sätze wie: „Ich hoffe, daß es keinen Streit um die Macht gibt und keinen Bürgerkrieg.“
Barbara Debus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen