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WM-Rodeo der Eiscowboys in Wilmersdorf

■ Viertelfinale zur Weltmeisterschaft der Eisspeedwayfahrer / Krach in höheren Phonstärken, rauchgeschwängerte Luft kein Hindernis für etwa 10.000 Motorrad-Fans dabei zu sein / Die Bundesdeutschen fuhren zumeist hinterher

Eine Rot-Grüne Koalition stand auch vor dem Viertelfinale der Eisspeedway-Weltmeisterschaft in Wilmersdorf zur Debatte. „Wenn die drankommen“, unkt ein propperer Mitzwanziger „dann ist es mit dem Motorsport für vier Jahre wohl vorbei.“ Die Vision einer motorbefriedeten Stadt bereitet der zahlreich erschienenen Fan-Gemeinde - in der Mehrzahl gutsituiertes Bürgertum - einiges Kopfzerbrechen, obwohl viele im Verkehrsdickicht um das Eisstadion steckengeblieben waren.

Im Fahrerlager kann von Panik vor politischen Ereignissen keine Rede sein. „Public Enemy“, „Volksfeind“ also, dieser bolschewistische Terminus, gesehen auf einem Monteursanzug mag das einzig Irritierende sein. Ansonsten geht man hier seiner Arbeit nach und präpariert die Maschinen für den Start. Maschinen? Eher sehen sie aus wie niedliche Fahrräder mir Hilfsmotor; lediglich die spikesbehafteten Reifen sorgen beim Betrachter für Eindruck.

Ein Mechaniker, sichtlich überrascht, von einem absoluten Dilletanten angesprochen zu werden, murmelt etwas von „verdichtetem Motor“ und „bis zu 70 PS“, ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Plötzlich läßt er den Motor an - ein Geräsch wie eine Kreissäge und ehrfurchtsvoll weiche ich ein paar Schritte zurück.

Punkt 18 Uhr bläst das Zentralorchester der sowjetischen Streitkräfte - sicher auch dies eine Überraschung - zum Einmarsch der Gladiatoren. Nun verlassen sie ihr Zeltlager, das vollgestopft ist mit Ersatzteilen und Betreuern, ohne jedoch im Entferntesten wie ein weltmeisterliches Depot der Formel 1 zu wirken: ein Holländer, ein Österreicher, zwei Finnen, zwei Tschechoslowaken, drei Schweden und drei Sowjets sowie fünf Bundesdeutsche präsentieren sich dick vermummt dem fachkundigen Publikum. Der Applaus ist ihnen gewiß.

Man kennt sich jedenfalls. Der Stadionsprecher annonciert „unseren Maxl Niedermaier“ ebenso jovial und freundlich wie Rais Mustafin, „den Sunny-Boy aus der Sowjetunion, der immer ein Lächeln auf den Lippen hat“.

Dankbar ob des freundlichen Empfangs grüßen die gepanzerten Recken zurück - meist Männer über 30, ruhig und bescheiden, wie man sie auch beim Doppelkopf antreffen könnte. Aber kaum haben sie ihre Vehikel erklommen, drehen sie auf. Faszinierend, selbst für Umwelt-Skeptiker, wie sie sich halsbrecherisch in die Kurven legen, das Knie als Stabilisator knapp über der Eisoberfläche. Mit einem Stundenmittel von bis zu 86 Kilometern umrasen sie viermal das 400 Meter lange Oval. Gleich im ersten Lauf stürzt der Schwede Jon Frederikson spektakulär.

Mit einer Knieverletzung muß er vorläufig pausieren. Der Schuldige, der Finne Jarmo Hirvasoja, wird für diesen Lauf disqualifiziert. Noch ahnen die etwa 5.000 Zuschauer nicht, daß gerade diese beiden, zusammen mit dem Schweden Stefan Svensson und Antonin Klatovsky (CSSR), Jagd auf das favorisierte Trio aus der UdSSR machen werden.

Leider vermag es der deutsche Spitzenfahrer Leonhard Oswald nicht, ihnen Paroli zu bieten. Nach gutem Start fällt er in der Wertung zurück. Möglicherweise, weil er Angst vor der eigenen Courage hat. Auf jeden Fall hat „Eis-Cowboy-Leo“ nicht annähernd soviele Flachmänner geleert, wie manche seiner Fans, die kaum noch „Eisspeedway“ sagen können. Als der erste Tag mit harten Positionskämpfen dem Ende näher kommt, steht eine stinkende Wolke aus Kerosin-Gemisch über der Anlage. Mehr als drei Stunden währt der Wettkampf am ersten Tag bereits.

Schließlich belegen der Schwede Svensson und Sowjet-Pilot Mustafin gemeinsam den ersten Rang. Mustafin ist das Lächeln allerdings ein wenig vergangen, denn mit nur einem einzigen Punkt Rückstand sitzen ihm auch noch Hirvafja und Klatovsky dicht auf den Fersen.

Jürgen Schulz

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