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Schneller als die Feuerwehr

Die realpolitischen Fundis rasen in die Koalition  ■ G A S T K O M M E N T A R E

Wer hätte das gedacht, daß die AL mal lauter singt als die legendären hessischen Fischerchöre. So mutete es jedenfalls an, als am Samstag im Schnellgerichtsverfahren die Koalition um jeden Preis festgeklopft wurde. In vier Stunden nur stimmten sich die Mitläufer in einen Vollrausch der Machtbeteiligung. Die vielgescholtenen Hessen-Grünen brauchten damals noch zwei Jahre, um den Basokraten beizubringen, daß es allenfalls um politische Symbole und die Politisierung einzelner sogenannter Essentials gehen konnte.

„Some like it hot“ bebilderte Ströbele die erste Verhandlungsrunde und wollte dem Publikum vorsichtig weismachen, daß die SPD ganz scharf auf die AL sei. Welche Fehleinschätzung der eigenen Klientel. Die wenigen Fundis verkrochen sich hinter den bekannten Forderungskatalogen. Die Königsmacher, vielbeklatscht vom siegestrunkenen mittelständischen Publikum, eroberten die Herzen der ewigen Verlierer. Und weil diese Ignoranz, im liberalen Berlin auch Toleranz genannt, eben alle gleichermaßen befriedigen sollte, durften zur Eröffnung des Parteitages auch die Gefangenen-Hilfsorganisationen ein schüchternes „Iso-Haft ist Mord, Zusammenlegung jetzt sofort“ intonieren. Bei soviel Friede, Freude, Eierkuchen und klapperndem Schulterschluß lief es dem auswärtigen Beobachter schon mal schaurig über den Rücken. In dieser Athmosphäre wäre selbst ein Joschka glattweg zum Linksaußen geworden. Selbst Kunzelmann rang um den Witz und erlag dem Krampf: „Verhandlungen mit der SPD erst, wenn sie aufhört, mit der kriminellen Vereinigung CDU zu reden.“

Wie der Riß durch die Familie zu verhindern ist, wenn sich der Hungerstreik zuspitzt und die ersten Steine auf dem Kudamm fliegen, wenn die rechte Polizei provoziert und die Gewaltfrage geklärt werden muß, wenn das Luftkreuz oder der vierspurige Grenzübergang nicht zu verhindern sind, wird auch Stunden nach der Show nur mit zuckenden Schultern beantwortet: „Weeß icke?“.

Im locker-flockigen Jargon wird die bundespolitische Bedeutung eines eventuellen Bruches der Koalition heruntergespielt: „Wir sind mit dem Westen nicht über einen Kamm zu scheren.“ Bleibt zu hoffen, daß die Macher eine Drahthaarbürste finden, mit der die Stacheln gescheitelt werden können.

Broka Herrmann

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