: Beamtenfußball nach seltenem Transfer
Pokal-Achtelfinale: Alemannia Aachen - Giftküche Uerdingen 1:4 / Fades 'hors d'oeuvre‘ vor dem Bundesligastart ■ Aus Aachen Bernd Müllender
Lange bittere Wochen der Trostlosigkeit haben wir hinter uns. Statt Fußball wurden allerlei winterliche Pausenfüller geboten wie militärisches Biathlon und rasende Kugelmonster über steilste Schneepisten, dazu auch Tennis und puckloses Eishockey im Fernsehen. Unsere Helden der Kickerzunft bräunten sich derweil trainingshalber unter der Sonne des Südens. Aber jetzt, da die „Winterpause“ des ewigen Frühlings termingerecht beendet ist, haben die Lederkugeln wieder Luft bekommen. Aachen gegen Uerdingen, im Pokal, machte den Anfang, die Vorspeise vor dem Auftakt zum großen Rückrundenmenü ab nächster Woche.
Der Fußballhunger war riesig. Doch die Mahlzeit am Samstag aus der Aachener Tivoli-Gaststätte schmeckte eher nach Kantine denn nach einem vielsternigen Restaurant. Über eine Halbzeit lang sahen die 8.000 im mäßig vollen Stadion statt befreiter Sturmeslust mehrheitlich Beamtenfußball: taktischer Balldienst nach Vorschrift, Angriffe nach Schablone und Aktenlage. Zweitligist Alemannia spielte so verhalten defensiv, wie man sich das in der heimischen Amtsstube gerade noch erlauben kann - bloß nicht in Rückstand geraten! Und Uerdingen hatte offensichtlich Respekt vor alten Aachener Pokaltriumphen, als die Bundesligisten am Tivoli reihenweise abgefertigt wurden (zuletzt Ende 1987 der spätere Meister Werder Bremen).
Die Giftküchenelf aus Krefeld spielte klassenbewußt cleverer und ging, nach einzelnen Gelegenheiten hüben wie drüben, kurz vor der Pause in Führung. Dem eleganten dänischen Riesen Jan Bartram war ein wunderschöner Steilpaß -Lupfer aus dem Fußgelenk wie weiland dem seligen Spieler Beckenbauer geglückt, und Reinhold Mathy hatte, abseitsverdächtig zwar, gekonnt vollendet. Etwas munterer wurde es erst ab der 53. Minute. Da gelang der Alemannia der überraschende Ausgleich. Foul, Freistoß, der Ball wird, wie es so wunderbar heißt, lang und länger, Verteidiger Schacht wundert sich im Fünfmeterraum, wie klein sich Krefelds Torwartriese Grüninger machen kann, und köpft ins Netz.
Jetzt endlich... Doch halt. Um zu erklären, warum die Alemannia, durchaus nach Erwartung der Fans, so wenig bot, müssen wir die Historie befragen. Die mittelfristige wird allmählich zur Lachnummer. Seit nunmehr 19 Jahren wird in Aachen vor jeder Saison vom Wiederaufstieg gesprochen, dann jedoch regelmäßig versagt. Neuerdings will der Verein den Totalabstieg ins finanzielle Aus durch Spielerverkäufe sichern. Nach jahrelangem provinziellem Managementdurcheinander wurde in dieser Saison professioneller gewirkt: der Ex-Nationalstürmer Del Haye wurde, gerade erst von Düsseldorfs Ersatzbank weggekauft, in konzertierter Aktion mit der Lokalpresse aus dem Kader geekelt, und Ende 88 wurden mit Torjäger Gries und Vorstopper Ritter gleich zwei Leistungsträger an die Konkurrenz verkauft.
Das „Aachener Modell“
Nicht mehr dabei ist auch der verantwortliche Geschäftsführer Bert Schütt, der im Januar auf der turbulenten Mitgliederversammlung von Vereinsoppositionellen der Geldmanipulation zum privaten Nutzen bezichtigt wurde und augenblicklich mit Herzinfarkt tot zusammenbrach. So etwas hat es selbst in Schalke oder Frankfurt noch nicht gegeben - mürrische Widersacher aus dem eigenen Club transferieren ihren Chef ins Jenseits - und dazu noch ablösefrei.
Sportlich mußte solcher Aderlaß Folgen haben. Der traditionell alemannische Kampffußball ist endgültig einem dürftigen Hauruck gewichen mit einer Spielkultur, die, um auf den Beamtenfußball vom Samstag zurückzukommen, nur gelegentlich das Niveau der unteren Beamtenlaufbahn erreichte. Nach dem Ausgleich mühten sich die Aachener etwas offensiver, was einige Schwächen im hinteren Immunsystem der Krefelder Chemiefußballer offenbarte, aber mangels durchschlagskräftiger Stürmer bis zum Schluß erfolglos bleiben mußte.
Bei Uerdingen wurde Herrgott im Mittelfeld immer aktiver, fädelte mit Finesse ein und war nach Bartrams direkt verwandelter Ecke zum 1:2 mit einem bezaubernden Kopfball -Steilpaß maßgeblich am entscheidenden 1:3 durch den Ex -Bullen Kuntz verantwortlich. Den Schlußpunkt setzte der in der 90. Minute eigentlich nur zum Mitkassieren der Siegprämie eingewechselte Witeczek mit vorbildlicher Berufsauffassung: 30 Sekunden Arbeit, eine Berührung des Arbeitsgerätes und dadurch gleich ein Tor. Für den genialen Herrgott spielte im übrigen Holger Fach, Beckenbauers neuer Mann, einen sehr irdischen Libero nach Ausputzerart: grundsolide wie ein Ministerialrat, aber ohne jede Ausstrahlung.
Die ausgeschiedene Alemannia kann sich jetzt ganz auf den internen Klassenkampf in der 2. Liga konzentrieren. Am Erfolg wäre nicht zu zweifeln, wenn das Team nur halb so flink spielen würde, wie ihr Trainer mit dem Mundwerk ist. Peter Neururer (33), ein faszinierend sympatisches Großmaul voller Ruhrgebietswitz und unverschämtem Selbstbewußtsein, ist die letzte Attraktion des Vereins. Wenn sein Zweizentner -Mann Delzepich mal wieder ins Tor gedonnert hat, „hatte der Torwart schon vom Luftzug eine Lungenentzündung bekommen“. Vor dem Auswärtsspiel bei seinem Ex-Club Rot Weiß Essen bemerkte Neururer, er sei „so heiß, daß ich mir mit den Händen die Hose bügeln könnte“. Und „bei jedem Training“, sagt er galgenhumorig zur Transferpolitik seiner Arbeitgeber, „laß ich jedesmal neu durchzählen, ob nicht wieder einer meiner Spieler verkauft worden ist“.
„Mehr als kurios“
Vor dem Uerdingen-Spiel hatte Neururer frech behauptet, daß „niemand von uns einen Kantersieg erwartet“. Doch hernach war er sauer: „Völlig unter Wert“ seien die Seinen geschlagen worden und die ersten beiden Gegentore waren doch, tönte der Schalk beleidigten Blicks, wegen Abseits und Torwartbehinderung ohne jede Frage „mehr als kurios“. Beim 1:2 hatte sein Torwart Kau den Schiedsrichter wutschnaubend bis in den Mittelkreis verfolgt - das muß doch seinen Grund gehabt haben: „Daß der nach dieser nervlichen Anspannung noch soviel Energie hat und sich so echauffieren konnte, hätte ich nicht gedacht.“ Der Trainer muß es wissen, also war das Tor regelwidrig, was sonst.
Peter Neururer ist heißer Kandidat für den Trainerposten bei Hannover 96, wo Hans Siemensmeyer zum Saisonende aufhört. Die Bundesliga darf sich freuen.
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