„Realpolitik schließt Feminismus aus“

■ Regina Michalik, bis vor kurzem „die“ Feministin im Grünen-Parteivorstand, verabschiedet sich von der Parteiarbeit / Anpassungsprozeß der Grünen verschütte feministische Radikalität / Auf der Suche nach einer dritten Politikform zwischen Autonomie und Machtpolitik

Regina Michalik, vier Jahre lang als Feministin im grünen Bundesvorstand, hat von der Parteiarbeit die Nase voll. Sie wendet sich zwar nicht mit einem spektakulären Austritt von den Grünen ab, aber will Politik künftig wieder in der autonomen Frauenbewegung machen. Für manche Mitstreiterin bei den Grünen ist das ein harter Schlag - denn es wirft ein Licht auf die Krise des Feminismus bei den Grünen. Regina Michalik (31) kam 1983 zunächst als Bundestagsmitarbeiterin zu den Grünen und wurde im Dezember 1988 mit dem bisherigen Vorstand auf dem Karlsruher Parteitag abgewählt. Über einen Rücktritt hatte sie jedoch schon vorher nachgedacht: Der Schritt zurück in die autonome Frauenbewegung ist Ergebnis längerer Überlegungen.

taz: Regina, du wirfst bei den Grünen das Handtuch. Ist das nur ein persönlicher Schritt oder ist das ein Signal für weitere Feministinnen, die Partei zu verlassen?

Regina Michalik: Ich will nicht zum kollektiven Austritt blasen, weil die Grünen weiter notwendig sind als einzige linke Partei und weil es auch sinnvoll sein kann, daß Feministinnen in dieser Partei Politik machen, zum Beispiel die finanziellen Ressourcen und Möglichkeiten der Öffentlichkeit nutzen. Aber für mich überwiegt in der Bilanz das Negative: Mir ist der Preis für feministische Politik bei den Grünen zu hoch. Ich will mich nicht mehr von parteipolitischen Notwendigkeiten zuschütten lassen.

Du hast da selber jahrelang an vorderster Front gestritten. Warum ist es nicht gelungen, den Grünen ein feministisches Profil zu geben und damit auch einen Freiraum für Feministinnen zu erkämpfen?

Im Rückblick sehe ich drei politische Phasen. Die erste war die des Machterwerbs: Relativ wenige Feministinnen haben damals sehr viel erreicht, was den Einfluß auf Programm und Statut betrifft. Das lag unter anderem daran, daß die Grünen damals noch stärker aus unterschiedlichen kleinen Interessengruppen bestanden, die jeweils ein Terrain besetzen konnten. In der zweiten Phase konnte mit diesem Image um Wählerinnenstimmen geworben werden. Der Höhepunkt dieser Phase war 1986 im Jahr vor der letzten Bundestagswahl, als die anderen Parteien Angst bekamen, daß ihnen die Frauen weglaufen. Die Feministinnen legten mit dem Anti-Diskriminierungsgesetz ein sehr ausgefeiltes Reformprogramm vor, das eine breite Frauenöffentlichkeit mobilisierte, und darum waren sie für die Partei sehr attraktiv.

Die dritte Phase ist nun die der Abwehrkämpfe: Im Anpassungsprozeß der Grünen an die anderen Parteien und an die sogenannten Sachzwänge wird notwendigerweise an den anstößigen, feministischen Inhalten gesägt. Diese Phase wird auf absehbare Zeit andauern. Deshalb hat es keinen Zweck, darauf zu starren, wie wieder eine Offensive möglich wird, sondern das kann jetzt nur eine Phase der Reflexion und des Stellunghaltens sein, aber nicht der Erfolge. Zu diesem Zustand gehört auch, daß durch die Quotierung Frauen in Parteipositionen gekommen sind, die selber feministische Inhalte konterkarieren.

Nun ist ja unter den grünen Frauen ziemlich umstritten, was Feminismus überhaupt heißt, wenn ich an den Streit um das Mütter-Manifest denke. In allen grünen Flügeln nennen sich einige Frauen Feministinnen. Hast du es überhaupt als deine Aufgabe angesehen, diesen Begriff weiterzuentwickeln? Faktisch hast du dich doch im Bündnis mit der VorstandsLinken immer mehr auf die Programmverteidigung beschränkt.

Die wachsende Polarisierung in der Partei hat mich zunehmend in diese Ecke gedrängt, und darunter habe ich auch oft gelitten. Ich habe mich nie als Linke definiert, und für mich ist Feminismus nicht per se links. Aber was die Konstellation in der grünen Partei angeht, schließt eine stringente Realpolitik und auch das, was der „Aufbruch“ will, Feminismus aus. Feministische Ideen, die in der Partei wie in der Gesellschaft nur von einer Minderheit vertreten werden, müssen zwangsläufig konträr zur gesellschaftlichen Tendenz, zur Mehrheitsmeinung laufen. Die breiteren Wählerschichten, die eine Partei verständlicherweise erreichen will, sehe ich nicht für feministische Standpunkte.

Die Auseinandersetzung um das Papstplakat 1987 hat gezeigt, in welchem Dilemma die Grünen sind: Wenn ein großer Teil der Grünen in der Kirche ist und mit konservativ-christlichen Kreisen nicht nur zusammenarbeiten will - was punktuell selbstverständlich geht -, sondern dort auch Wählerpotentiale gewinnen will, dann muß es zum Konflikt kommen. Unsere bewußte Provokation damals hat natürlich die Identität dieser Leute angegriffen, und dafür werden sie die Grünen kaum wählen.

Zweites Beispiel: Die Konsequenz aus dem Anti -Diskriminierungsgesetz wäre, daß die Grünen eine Kampagane zur Abschaffung der Ehe machen. Dafür könnte ich in der Partei nie und nimmer eine Mehrheit bekommen: Nicht nur, weil viele in Ehen leben, sondern auch wegen der berechtigten Angst, dadurch die Leute zu verschrecken. Diese Mehrheitsverhältnisse aber zu ändern, das kann zum großen Teil nur über Provokation laufen: Ich muß Unmut erzeugen, wenn ich überhaupt etwas in die Köpfe reinbringen will.

Demnach könnte nur eine relativ kleine Oppositionspartei ein feministisches Profil haben?

Relativ klein: ja. Was die Oppositionsrolle betrifft: Ich sehe jedenfalls zur Zeit keine Möglichkeit für eine Koalition, wo auch nur eine einzige feministische Forderung zum Essential werden könnte. Beispiel Berlin: Ich wette eine Kiste Sekt darauf, daß die SPD nein sagen wird, wenn die AL die 50-Prozent-Quotierung im öffentlichen Dienst fordern würde - was nun wirklich nicht die feministische Revolution wäre.

Noch mal zum Streit der grünen Feministinnen untereinander. Warum hast du den nicht mehr aufgegriffen?

Mein Anspruch war es schon, den Begriff von Feminismus weiterzuentwickeln. Aber ich bin durch die ständigen Auseinandersetzungen in der Partei schlicht nicht dazu gekommen. Wenn Grundpositionen, die wir über Jahre weg erkämpft haben, wie die ersatzlose Streichung von §218, in Frage gestellt werden, dann kann ich mich nicht hinstellen und den Feminismus weiterentwickeln. Mittlerweile meine ich, daß diese Arbeit nur in einer Distanz zur Partei geleistet werden kann. Andere grüne Frauen glauben jetzt, durch eine Stärkung der autonomen Frauenstrukturen in der Partei auch diese Distanz zu den Parteizwängen herstellen zu können. Ich bin da sehr pessimistisch, weil ich es vier Jahre versucht und nicht geschafft habe, trotz der relativ günstigen Ausgangsposition, daß ich aus der autonomen Bewegung kam und mich nie hundertprozentig mit den Grünen identifiziert habe.

Wenn du sagst, daß ein feministisches Profil auch dadurch erschwert wurde, daß Nicht-Feministinnen Parteipositionen besetzt haben: Heißt das, die Quotierung hat geschadet, weil sie eher traditionellen Konzepten von Gleichberechtigung zum Durchbruch verhilft?

Nein. Die reine Gleichberechtigung, die Quotierung bedeutet, ist die Grundlage dafür, daß Frauen mit Politik und Macht umgehen lernen, Freiräume haben, um ihre Interessen durchzusetzen. Ich stelle die Quotierung darum nicht in Frage. Das Problem ist aber, daß in der Partei mittlerweile Feminismus einfach mit „frauenfreundlich“ gleichgesetzt wird. Die Feministinnen haben es nicht geschafft, den Unterschied deutlich zu machen. So gilt das Anti-Diskriminierungsgesetz, das ja letztlich an den bestehenden Gesetzen und der herrschenden Staatsstruktur orientiert ist, nun bereits als radikal-feministisch, sogar extremistisch. Andererseits können sich dann solche Frauen, die diese schrittchenweisen Förderpläne propagieren, als die richtigen grünen Feministinnen profilieren. Und die Frauenstrukturen, also Frauenreferate und Arbeitsgemeinschaften, sind schon überlastet damit, nur die frauenpolitische Alltagsarbeit für die Partei zu machen.

Grüne Frauen, die deinen Weggang kritisieren, halten dir entgegen, daß auch in der autonomen Bewegung derzeit kaum Erfolge zu organisieren sind und daß du aus Frust heraus nun „die Bewegung“ mystifizierst.

Die Erfolgsträchtigkeit ist für mich nicht der Maßstab. Entpolitisierung, Vereinzelung und Hang zur Staatstreue also das, was ich bei den Grünen kritisiere, das paßt sicherlich alles auch auf die autonome Frauenbewegung. Ich werde mich auch nicht in eines der diversen Ein-Punkt -Projekte stürzen. Ich möchte die gemeinsame Reflexion von Feministinnen innerhalb und außerhalb der Institutionen unterstützen, denn ich denke, wir kommen nur weiter, wenn wir eine neue dritte Politikform entwickeln: Also die Erfahrungen mit Autonomie und die mit Machtpolitik wie bei den Grünen gemeinsam verarbeiten. Ein Ort für diese Reflexion kann die „Frauen-ANStiftung“ sein. Dafür fehlt allerdings auch ein feministisches Organ: Ich denke, es geht weder so populistisch weiter wie bei der 'Emma‘ noch so theoretisch-abgehoben wie bei den 'Beiträgen‘. Das ist natürlich ein Mammutprojekt - aber schon Schritte dahin könnten ein Erfolg sein.

Interview: Charlotte Wiedemann