„Auf der sachlichen Ebene ist das tödlich“

Diplom-Physiker und Brüter-Experte Richard Donderer vom Forschungs- und Informationsbüro Bremen zu dem von Töpfer gestoppten Brüter-Gutachten  ■ I N T E R V I E W

taz: Ist der Brüter längst tot, und Bonn und Düsseldorf spielen nur noch den Schwarzen Peter aus?

Richard Donderer: Das glaube ich nicht. Die Chance, den Brüter endgültig sterben zu lassen, war gerade in den letzten Monaten sehr groß. Der Haushaltsausschuß des Bundestages sperrte im Spätherbst vergangenen Jahres die Mittel. Sogar Forschungsminister Riesenhuber hat erklärt, wenn die Elektrizitätsversorgungsunternehmen jetzt nicht mit den fehlenden Millionen rüberkommen, dann ist auch die Bundesregierung nicht mehr bereit, weitere Mittel aufzubringen. An der Stelle hätte man das Projekt einstellen können. Das wäre eine ideale Lösung gewesen, weil der Schwarze Peter bei denen gelegen hätte, die sonst bei einem Projektabbruch mit hohen Schadensersatzansprüchen drohen. Man hat sich aber entschieden, das Projekt weiterzuführen. Insofern sehe ich nicht, daß der Brüter schon tot ist.

Ist das „Tschernobyl-Gutachten“ das richtige Mittel, um eine Entscheidung herbeizuführen?

Wenn man überlegt, wie der Brüter begraben werden kann, dann gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Die erste: Der Genehmigungsantrag wird von der Betreiberfirma SBK (Schnell-Brüter-Kernkraftwerk GmbH) zurückgezogen. Das ist nicht zu erwarten, es sei denn, die SBK wäre pleite oder würde pleite gemacht. Dazu müßte das RWE - und wer immer noch hinter dem Brüter steht - sagen, wir wollen das Projekt nicht mehr. Die zweite Möglichkeit ist, daß das Genehmigungsverfahren wie vorgesehen weiterläuft, die Genehmigungen aber nicht erteilt werden. Sie können aber nur dann nicht erteilt werden, wenn Sicherheitsbedenken dagegen sprechen. Alle anderen Aspekte, wie zum Beispiel die Entsorgungsfrage oder mangelnde Zuverlässigkeit der Betreiber, sind nicht projektgefährdend.

Warum ist in diesem Zusammenhang genau dieses Gutachten so zentral?

Zentral ist, daß es den „Bethe-Tait-Störfall“ betrifft. Wenn bei den Berechnungen herauskommt, daß der „Bethe-Tait -Störfall“ nicht beherrschbar ist, dann ist die Anlage endgültig nicht mehr genehmigungsfähig. Das betrifft so grundlegende Auslegungsmerkmale des Reaktors, daß man damit dann nicht mehr leben kann. Da müßte man praktisch einen neuen Reaktor bauen. Das ist allen Beteiligten bewußt. Wir in Bremen sollten am Bethe-Tait-Teil des jetzt verbotenen Gutachtens mitarbeiten. Das war von der Bonner Seite nicht gewünscht.

Bundesreaktorminister Töpfer riskiert wegen dieses Gutachtens sogar eine imageschädigende Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht. Warum?

Ich glaube nicht, daß er mit einer Niederlage rechnet. Er vertraut seinen Beratern in der Reaktorsicherheitskommission. Die sagen, wir haben das gecheckt; es gibt keinen weiteren Prüfungsbedarf. Dem wird sich der Minister in der Regel anschließen. Deswegen hat er die Leute ja da sitzen.

Heißt das, Töpfer hat keine Ahnung?

Er kennt sicherlich die Problematik der RSK-Stellungnahme und weiß, was Düsseldorf darüber denkt. Seine Mitarbeiter kennen natürlich auch die Schwächen dieser Studie. Aber man geht davon aus - das ist wohl die Arroganz der Macht -, wenn die RSK als oberstes Beratergremium das so sieht, dann müssen sich alle anderen daran orientieren.

Welche Rolle spielt das verbotene Gutachten für den Düsseldorfer Genehmigungsminister Jochimsen?

Aus Sicht der Genehmigungsbehörde hat die Sachlage das Gutachten einfach erfordert. Man hat ja die Tschernobyl -Bewertung des Brüters aus der Sicherheitsüberprüfung der anderen nordrhein-westfälischen Atomanlagen erst einmal herausgenommen. Außerdem sind andere Fragen zum Bethe-Tait -Störfall im Laufe der letzten Jahre aufgelaufen. Das heißt, dieses Gutachten ist eigentlich nur eines von mehreren, die noch anstehen.

Könnte es Jochimsen einfach darum gehen, Töpfer in der Öffentlichkeit als denjenigen zu „entlarven“, der nicht alles tut für die Sicherheit der Bevölkerung?

Das sehe ich eher als ein Nebenprodukt, das Jochimsen sicher recht ist. Möglicherweise kommt es ihm politisch sogar gelegener, daß die Geschichte so gelaufen ist, als wenn das Gutachten sang- und klanglos vergeben worden wäre. Aber die Fachleute, die in der Genehmigungsbehörde die Arbeit machen, empfinden das schon als Katastrophe. Auf der sachlichen Ebene ist sowas natürlich tödlich. Man kann einen solchen Bewertungsprozeß nicht per politischer Order einfach abbrechen oder kanalisieren.

Trauen Sie sich eine Prognose für den Ausgang des Verfahrens in Karlsruhe zu?

Man kann wohl nicht sicher sein, ob die Klage überhaupt angenommen wird. Das sind juristische Fragen, bei denen der gesunde Menschenverstand bekanntlich nicht ausreicht. Wenn das Verfassungsgericht die Klage aber annimmt und inhaltlich einsteigt, dann müßte man davon ausgehen, daß es die Bonner Weisung aufhebt. Aber wie auch immer das Gericht entscheidet, die Landesregierung hat gesagt, sie wird ohne diese und noch weitere Prüfungen eine Genehmigung nicht erteilen. Deswegen versucht die Brütergemeinde das Projekt bis über die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und die Bundestagswahlen 1990 hinaus zu retten. Sie gibt sich der nicht sehr realistischen Hoffnung hin, daß dann die Karten neu gemischt werden.

Interview: Gerd Rosenkranz