: Noch hat die SPD die Wahl
Walter Momper pokert hoch. Zwar steht die Stimmung in der SPD-Basis auf Rot-Grün, und das ist auch die erste Option der Parteispitze. Dennoch: Mit einer Alternativen Liste, die in ihren Forderungen zwischen „Dienstfahrrädern und Milliardenbeträgen schwankt“, will der Sozialdemokrat nicht regieren.
Die SPD wirbt derzeit in Berlin „für eine andere Politik“ und die soll eindeutig sozialdemokratisch sein. Walter Momper will die Chance nutzen, das verlorene Profil der SPD zurückzugewinnen, und da sind nur Einsprengsel gestattet ob grüne oder schwarze, ist noch nicht entschieden.
Bisher gab es nur „Sondierungsverhandlungen“. Wenn sich heute abend Alternative Liste und Sozialdemokraten erstmals zu förmlichen Verhandlungen über die Regierungsbildung treffen, dann sind die Positionen in vielen Einzelpunkten gar nicht so weit von einander entfernt. Das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen haben beide Parteien vor der Wahl versprochen. Auch sonst hat die SPD in ihrem Programm „Arbeit und Umwelt“ viele AL-Forderungen aufgenommen. So wird die Umweltkarte bei den öffentlichen Verkehrsmitteln leicht einzuführen und auch Tempo 30 in weiten Teilen der Stadt kein Streitpunkt sein.
Selbst beim Thema „Innere Sicherheit“ will die SPD auf die AL zugehen und die von CDU-Innensenator Kewenig eingeführte und als Prügeltruppe in Verruf geratene Sondereinheit EbLT abschaffen. Eine Einigung wird sich wohl auch über den Verfassungsschutz erzielen lassen. Die SPD will ihn zwar nicht - wie die AL - abschaffen, aber doch in seinen Aufgaben zurückschrauben und kontrollieren.
Den Frauen die Hälfte des Himmels verlangen Sozialdemokratinnen und AL-Frauen gleichermaßen, über das Wie werden sich die Verhandlungskommissionen wohl auch einigen. Und daß mehr öffentlich geförderte Wohnungen gebaut werden sollen, steht ohnehin in den Wahlplattformen beider Parteien.
Streit wird es dagegen über die politischen Grundpositionen geben, das wurde schon während der Sondierungsgespräche deutlich. Da hatte der Wirtschaftsexperte der AL, Köppl, im Alleingang die Forderung erhoben, man müsse die Milliardenbeträge, mit denen Bonn die Berliner Unternehmer und Arbeitnehmer subventioniert, anders verteilen. Statt einer prozentualen Zulage schlug er einen Grundbetrag für jeden Arbeitnehmer von 250 DM vor. Ein Sturm der Entrüstung bei Industrie und Gewerkschaften war die Folge. Und auch die meisten Berliner Medien schlugen sofort Alarm.
Spätestens da wurde so manchem ALer und auch in der SPD klar, daß es - bei aller Rot-Grün-Euphorie - in der Stadt keinen Konsens über grüne Grundsatzpositionen gibt. Walter Momper kam die Kontroverse durchaus nicht ungelegen. Er konnte sich bei den Wirtschaftsverbänden Profil verschaffen: Keine Änderung der Berlinförderung mit der SPD. Und auch bei der AL sieht man inzwischen ein, daß an diesem Punkt „wahrscheinlich nichts zu machen ist“ (Vorstandsmitglied Christian Ströbele).
Die drei vieldiskutierten „Essentials“ (Absage an Gewalt, Präsenz der Alliierten und Anerkennung der Rechtseinheit Berlins mit dem Bund), die Walter Momper in der Wahlnacht an die Adresse der Alternativen formuliert hat, sind inzwischen fast nur noch Taktiermasse. Die AL hat mit ihnen keine größeren Probleme, wirft sie aber in die Waagschale, um Mompers Gegenangebote zu messen. Die SPD ihrerseits hält sie in der Hinterhand, als mögliches Argument, um gegebenenfalls auch wieder aus den Verhandlungen aussteigen zu können.
Denn daß Momper weiterhin mit der CDU-Kommission unter dem noch amtierenden Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen verhandelt, ist nicht nur Taktik gegenüber der AL. Auch die SPD hatdurchaus gute Argumente für eine große Koaliton. Zumindest zwei wichtige Eckpfeiler sozialdemokratischer Reformversprechen kann die Partei nämlich derzeit nur mit Hilfe der CDU durchsetzen: die Wiedereinführung der Mietpreisbindung und die Rücknahme der Gesundheitsreform.
Für beide Vorhaben braucht eine Berliner Regierung die Ermächtigung für ein Landesgesetz aus Bonn. Die aber wird die Kohl-Genscher-Koalition einem rot-grünen Bündnis wohl schwerlich als Patengeschenk in die Wiege legen.
Die Berliner CDU nimmt inzwischen die SPD in die Zange. Ein Bündnis für mindestens zwei Jahre und anschließend Neuwahlen hat Eberhard Diepgen angeboten und in Einzelpunkten auch schon Entgegenkommen signalisiert. Zum Beispiel Mieten: Da war seitens der CDU zum ersten Mal von Wohnungsnot die Rede und daß Vermieter ihre neuen Freiheiten seit Aufhebung der Mietpreisbindung mißbrauchen. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen hat jetzt eine gemeinsame Initiative aller Ballungsgebiete vorgeschlagen, um Mietpreise zu begrenzen. Noch sagt Momper, dies sei ihm zu wenig. Zeigt die CDU aber auch bei der Gesundheitsreform Entgegenkommen, wird es für ihn schwierig. Dann nämlich hätte die Berliner SPD die historische Chance, bundesweit Keile in die CDU zu treiben und deren Zerfallprozeß zu beschleunigen. Das gäbe einen neuen Hoffnungsschimmer auf einen Regierungswechsel in Bonn für 1990.
Andererseits wäre die SPD dann - egal ob große Koalition oder Tolerierung - zwei Jahre lang Statthalterin der Macht für Eberhard Diepgen. Das neue sozialdemokratische Selbstbewußtsein und ihr gerade entdecktes ökologisches Profil sind der Öffentlichkeit nur schwer zu verkaufen, wenn die Partei auf die Duldung durch die Christdemokraten angewiesen bleibt. Der Erwartungsdruck ist schließlich groß. Will die SPD bei vorgezogenen Neuwahlen oder in spätetens vier Jahren nicht wieder in den Keller rutschen, muß sie etwas Neues präsentieren. Die Christdemokraten sind dafür ein wackliger Partner. Denn die lauern nur darauf, Stimmen vom rechten Rand zurückzugewinnen und ihren alten Bündnispartner FDP wieder über die Fünf-Prozent-Marke zu hieven.
Brigitte Fehrle
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