: Erst angefaßt, dann nichtbefaßt
■ Grüne über Geld und Eingemachtes / Mitgliederversammlung diskutierte, was man alles mal diskutieren müßte: Frauenquote, Ausländerwahlrecht und eigenen Haushalt
„Die Vorstadtkarikatur einer Schlammschlacht“ nannte Fraktionsgeschäftsführer Rainer Oellerich eine Veranstaltung der Grünen am Montagabend. Von einer „Aufführung aus dem Komödienstadel“ sprach der Bürgerschaftsabgeordnete Ralf Fücks. Eingeladen hatte der Parteivorstand eigentlich zu einer Landesmitgliederversammlung.
Laut Einladungsschreiben sollten die Grünen dort über ihre Gesetzentwürfe zur Frauenquotierung diskutieren, eine neue Landesvorstandssprecherin wählen, über die Spendenmoral ihrer Abgeordneten reden und ihren Finanzhaushalt 89 beschließen.
Stattfand von alledem gar nichts. Über Quotierung mochte die gemischtgeschlechtliche Mitgliederversammlung so lange nicht reden, bis eine Frauen-Vollversammlung sich mit den Varianten „harte“ oder „weiche“ Quotierung befaßt hat. Die Wahl einer Vorstandssprecherin fiel mangels Kandidatin aus. Die „Wunschkandidatin“ des seit Wochen um seine satzungsgemäße Ergänzung ringenden Vorstands, Christine Bernbacher,
verzichtete: In „verschiedenen Vorgesprächen“ sei sie „auf Animositäten“ gestoßen.
Ungeklärt ließen die Mitglieder auch, an wen und wozu die acht grünen Bürgerschaftsabgeordneten künftig ihre Aufwandsentschädigung von 300 Mark monatlich und zusätzliche Sitzungsgelder von rund 350 Mark überweisen sollen: Solange nicht geklärt sei, wofür und wieviel Geld die Partei insgesamt ausgeben wolle, könne man schlecht über den Einzel -Einnahmeposten „Spenden von Abgeordneten-Diäten“ reden. Die Diskussion um den Gesamthaushalt 89 strichen die Mitglieder schließlich, weil sie das kleinstgedruckte Zahlenwerk mit einem Gesamtvolumen von 636.233 Mark und 2 Pfennigen erst fünf Minuten vor Beginn der Debatte in die Hand bekommen hatten. Bevor die Grünen ihrem Etat den Segen geben, wollen sie ihn lieber noch mal lesen.
Angsichts der drastisch zusammengeschmolzenen Tagesordnung fanden die Grünen von 19.30 bis 23 Uhr ausreichend Zeit für andere wichtige Themen. So
soll z.B. Bundesinnenminister Eduard (!) Zimmermann demnächst ein Protestschreiben aus Bremen gegen die Haftbedingungen von Ingrid Strobel erhalten, die seit über einem Jahr wegen illegalen Weckerbesitzes in Untersuchungshaft sitzt.
Verstärkt wollen die Grünen sich nach den Wahlerfolgen von Rechten für ein „volles aktives und passives Wahlrecht“ für Ausländer einsetzen und sich in einem möglichst breiten Bündnis und mit einer Vielzahl von Aktionen gegen Neonazis und für eine offene, multikulturelle Gesellschaft einsetzen.
Heftiges Gemurmel, das die Versammlunsgleitung „als Freude, daß es jetzt ans Eingemachte geht“ deutete, löste schließlich der Tagesordnunspunkt „Reisekostenabrechnung von Landesschatzmeisterin Ute Treptow“ aus. Für Ex -Vorstandssprecher Lothar Probst gehört es sich einfach nicht, daß die Finanzmanagerin der Grünen sich Reisen zu einem Treffen „linker Grüner“ aus der Parteikasse bezahlen läßt. Probst: „Es ist eine Frage des politischen An
stands, daß Ute das Geld zurückgibt“. Für den Bürgerschaftsabgeordneten Martin Thomas ist eine Schatzmeisterin, die ihre Treffen mit „strömungspolitischen Freunden“ über die Parteikasse abrechnet, „geradezu untragbar“. Während Thomas Pfiffe für seine Radikalkritik einstecken mußte, stürmte die gescholtene Kassiererin empört ans Mikrofon, um sofortige Abstimmung über die „Vertrauensfrage“ zu verlangen: „Ich lasse diese Angriffe übelster Sorte eines Menschen namens Thomas nicht auf mir sitzen.“
Für Treptow ist Treptow nicht zum Privatvergnügen, sondern in offizieller Vorstands-Mission zu den „linken Grüner“ gefahren. Der Vorstand hatte ihren Reisekostenantrag abgesegnet. Nur mit Mühe ließ sie sich am Montag von einer Kampf-Abstimmung über ihren Verbleib im Landesvorstand abbringen.
Den rettenden Ausweg aus der Bredouille wußte schließlich Birgit Geißler. Sie empfahl eine Strategie, die schon während des gesamten Abends Erfolg verbürgt hatte: Nichtbefassen.
K.S.
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