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Intensive Fehlplanung

■ „Schwester 120 sofort an Bett 17“ / St.-Jürgen-Direktion plant neue „Intensiv-Pflegefabrik“ / Mitarbeiter-Dauerstreß und Patienten-Risiken gefürchtet

Schmiergeldträchtige Bauprojekte, rufschädigende Skandalbewältigung - das Jahr 1988 war für das Zentralkrankenhaus St.-Jürgen-Straße „ein ungewöhn

liches, zum Teil auch nicht erfreuliches Jahr“, schrieb dessen neuer Verwaltungsdirektor und Galla-Nachfolger, Wilfried Bolles, pünktlich zum Jahreswechsel allen Krankenhaus-MitarbeiterInnen. Tröstlich kündigte der der Verwaltungs-Chef den „lieben Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen“ gleichzeitig „einige erfreuliche Verbesserungen“ für 1989 an. Gesundheitssenatorin Rüdiger bekam sogar ein schriftliches Extra-Lob „für ihre besondere Unterstützung“.

Besonders „erfreulich“ sollen die MitarbeiterInnen vor allem die geplante Einrichtung einer „interdisziplinären Intensivstation“ finden. Um High-tech der Intensivmedizin, Fachärzte und Fachpersonal in Zukunft effektiver einsetzen und die vorhandenen Betten besser auslasten zu können, sollen drei bislang dezentrale Intensiv-Stationen in der Neurochirurgie, der Anästhesie-und der Inneren Abteilung zu einer einzigen, frisch renovierten Station mit insgesamt 34 Betten zusammengefaßt werden.

Statt der erwarteten Freude haben die Pläne der Krankenhausdirektion bei MitarbeiterInnen und Personalrat allerdings bislang vor allem Ängste und Empörung ausgelöst. Aus seinen bisherigen Erfahrungen glaubt der Personalrat schon jetzt genau absehen zu können, was sich hinter den Zentralisierungs- und Zusammenfas

sungsbestrebungen der Krankenhausleitung verbirgt. Er fürchtet, daß die chronisch unterbesetzten Intensivstationen einfach zu einem einzigen, riesigen „Personal-Pool“ zusammengefaßt werden sollen, um die ständigen Personalengpässe auf Kosten der Mitarbeiter zu lösen. 26 Pfleger und Schwestern arbeiten zur Zeit auf der Intensivstation der Anästhesie und versorgen 12 PatientInnen. Zwei Stellen sind seit langem unbesetzt, weil schon zu den heutigen Bedingungen sich niemand für sie sie finden läßt. Durch ständige Überstunden und Extrawachen rettet sich die Abteilung notdürftig über die Runden.

In der jetzt geplanten „Pflegefabrik“ würden 120 bis 140 MitarbeiterInnen rund um die Uhr arbeiten. Ergebnis: Keiner kennt mehr keinen. Die PatientInnen werden zu Nummern. Wer morgens zum Dienst kommt, wird an Bett 28 beordert, um acht Stunden Monitore zu beobachten, Schläuche zu wechseln und umzubetten. Auch wenn die Krankenhausleitung davon nichts wissen will - für den Personalrat sind die Folgen absehbar: Motivation und Engagement von Mitarbeitern leiden drastisch unter solchen Arbeitsbedingungen, die Konsequenzen für die PatientInnen sind klar, wenn sie von genervten Pflegern versorgt werden.

Erfahrungen in anderen Krankenhäusern, die ihre Intensiv

Betreuung in zentralen medizinischen High-tech-Zentren zusammengefaßt haben, bestätigen den Personalrat in seinen Befürchtungen. In Augsburg z.B. hielt es nur jeder dritte Pfleger ein Jahr auf der dortigen zentralen Intensiv -Abteilung mit 55 Betten aus. Konsequenz der dortigen Klinikleitung: Einen Teil der mit Millionenaufwand gerade eingerichteten Krankenzimmer wurde kruzerhand wieder stillgelegt. Auch die einschlägige Fachliteratur bestätigt: Für das notwendige Teamwork stellen maximal 12 Betten pro Intensivstation die „kritische Höchstgrenze“ dar.

Hinzu kommt, daß die Krankenhausdirektion offensichtlich an einer „Billiglösung“ interessiert ist. Um mit rund 8,5 Millionen über die Runden zu kommen, sollen die 34 Betten auf einem einzigen, ca 60 Meter langen Zimmertrakt untergebracht werden. Für notwendige Lager-, Büro-und Aufenthaltsräume bleibt dann kaum Platz. Befürchtung des Personalrats: „Schon jetzt ist absehbar, daß hochmoderne, teure Pflegezimmer nachträglich in Abstellkammern umgewidmet werden müssen.“ Einigkeit zwischen Personalrat und Krankenhausleitung besteht bislang nur in einem Punkt: Die bisherigen Intensivstationen sind in der Tat für Patienten und Personal unzumutbar. Ein Pfleger: „Wir arbeiten im Müll“. K.S

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