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Die CDU will in den Verhandlungen keine Alibirolle spielen

Brief des noch Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) an den potentiellen Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD)  ■ D O K U M E N T A T I O N

Sehr geehrter Herr Momper,

mit großer Besorgnis habe ich die politische Diskussion der letzten vier Tage in Berlin verfolgt. Der Landesvorstand der SPD hat die Entscheidung der AL über den Beginn offizieller Koalitionsverhandlungen freudig begrüßt, eine Zusammenarbeit mit der CDU wurde als „letzter Ausweg“ bezeichnet. Spitzenvertreter Ihrer Partei haben für die aus Ihrer Sicht wünschenswerte Zusammenarbeit mit der AL Terminpläne verkündet.

Mit diesen öffentlichen Bekundungen hat Ihre Partei Tatsachen gesetzt, die eine Fortsetzung erfolgversprechender Gespräche zwischen der CDU und der SPD zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sinnvoll erscheinen lassen. Ich bedauere das im Interesse der Stadt. Die Sozialdemokratie muß sich entscheiden, ob sie in der Zusammenarbeit mit der CDU für Berlin eine Politik der Mitte gestalten will oder im Zusammenhang mit der AL eine Koalition mit extremen Positionen anstrebt.

Verhandlungen zwischen verschiedenen Partnern müssen mit Kompromißbereitschaft geführt werden und das Ziel eines Gesamtergebnisses vor Augen haben. Es erscheint zwar möglich, mit sehr unterschiedlichen Gruppierungen Sondierungsgespräche zu führen, ernsthafte Verhandlungen mit verschiedenen Gesprächspartnern jeweils weit auseinanderliegender Positionen sind jedoch nicht denkbar. Sie geraten in den Verdacht einer reinen Alibi-Rolle.

Die AL hat ihr Wahlprogramm zur Grundlage der Koalitionsgespräche gemacht. Dazu gehören nicht nur die in der Öffentlichkeit bereits breit diskutierten und für Berlin verhängnisvollen Positionen zur Übernahme von Bundesgesetzen, der Präsenz der Schutzmächte und der nicht klaren Ablehnung von Gewalt. Für die Entwicklung der Stadt ebenfalls bedeutsam sind die Überlegungen zur Kürzung der Berlin-Förderung und insbesondere der Berlin-Zulage für Arbeitnehmer, die totale Kontrolle des Staates über Investitionsentscheidungen im Rahmen der Berlin-Förderung, die Anhebung der Gewerbesteuer, die Ausweitung der Staatsverschuldung, der Abbau und die Entwaffnung der Polizei sowie das langfristige Ziel der Auflösung von Haftanstalten.

Für mich ist es schwer nachvollziehbar, daß Ihre Partei die Arbeitslosigkeit gemeinsam mit einem Partner wirkungsvoll bekämpfen will, der Investitionsentscheidungen Berliner Unternehmen von Beratungen in Bürgerinitiativen und Kiezgruppen abhängig machen will.

Die Beispiele aus dem Programm der AL ließen sich erweitern. Mir kommt es aber auf einen anderen Punkt an. Nach ihren Grundsatzüberlegungen will die AL offensichtlich gleichzeitig Regierungspartei und Systemopposition sein. Das kann nicht gutgehen.

Unabhängig davon, was in künftigen Papieren an Formelkompromissen vereinbart wird: in den täglichen Entscheidungen der Regierungs- und Verwaltungsarbeit wird der Charakter der AL und die jeweilige langfristige Zielsetzung der Überwindung des „gegenwärtigen Industriesystems“ oder der „Vision einer autofreien Stadt“ durchgreifen. Tiefe Verunsicherung in und außerhalb Berlins, Probleme bei unseren ausländischen Partnern und eine schleichende Auszehrung der Stadt sind absehbare Folgen.

Aus Verantwortung vor der Stadt habe ich immer meine Bereitschaft betont, der CDU eine gegebenenfalls zeitlich begrenzte Zusammenarbeit mit der SPD zu empfehlen. Meine Partei hat diese Position unterstützt, und das Angebot bleibt bestehen.

Ich bin überzeugt, daß in einer Zusammenarbeit von CDU und SPD ein „Programm für Berlin“ verwirklicht werden kann, das den Menschen dient: - weitere Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Berliner Wirtschaft und ein deutlicher Beitrag auch der öffentlichen Hand zur Senkung der Arbeitslosigkeit; - der Bau von 30.000 Wohnungen im sozialen Wohnungsbau; Sicherstellung bezahlbarer Mieten und eine Initiative für Wohnungsbau und bezahlbare Mieten in den Ballungsgebieten der Bundesrepublik Deutschland; - Sicherung des inneren Friedens; - Initiative zur Verbesserung der sozialen Situation, insbesondere Erhöhung des Kindergeldes, Verlängerung des Erziehungsgeldes und Bekämpfung der verschämten Altersarmut; - Bewältigung der großen Herausforderung durch den EG-Binnenmarkt und Stärkung der Bindungen und Verbindungen an das übrige Bundesgebiet; Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs.

Die CDU ist bereit, zum Wohle der Stadt sowohl ihre Verantwortung in der Opposition als auch in der Regierung wahrzunehmen. Nach Klärung der von mir angedeuteten Grundsatzfragen sollten die beiden großen demokratischen Parteien im Interesse der Stadt unvoreingenommen prüfen, ob ein Weg der Zusammenarbeit den Berlinern dient und Gefährdungen für Berlin vermeiden kann.

Bei allen parteipolitischen Unterschieden: Lassen Sie uns dem Wohl der Stadt dienen. Mit freundlichen Grüßen

Eberhard Diepgen

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