: 142 FÜSSE UND 4 ROLLEN
■ Tanz aus Berlin im Dutzend
Die Tanztage, an denen sich ein großer Teil, wenn auch nicht alle Tänzer und Choreographen Berlins beteiligten, sind vorüber, Bis zum Ende blieb es bei dem großen Andrang des Publikums.
Christina Ciupke und Bruna Stefanoni erzählten in „Stages“ eine kurze Geschichte. Zuerst war sie allein auf der Bühne mit einer Stange: erst tastete sie sich nur mit den Händen aufwärts, später kletterte sie die Stange hinauf, daß ein Seemann vor Neid erblaßt wäre. Mit Anlauf sprang sie an die Stange und flog wie in einem Karussell in Spiralen durch die Luft. Von der Stange aus entdeckte sie den Bühnenraum und eroberte sich die Dimensionen ihrer Bewegungen. Ihre Wege kreuzte Bruno, der mit seinem rollenden Sprungfederbett ebenfalls die Reise durch eine neue Welt angetreten hatte. Beide begegneten sich mit dem Mißtrauen der ersten Bekanntschaften im Sandkasten, das jedes fremde Wesen vorsichtshalber erst mal ignoriert. Terrains wurden abgesteckt; um die Steuerung des Bettes entspann sich der erste kleine Kampf. Sandkastenliebe und Geschlechterkampf: die Bewegungen, in Improvisationen entwickelt, verwiesen auf die Semantik der vielen kleinen unbewußten Gesten der alltäglichen Körpersprache.
Auf dieser allmählichen Entfaltung im Raum, der immer ein Stück der Entwicklungsgeschichte jedes Menschen anhaftete, bauten andere Choreographien ebenfalls auf. Weniger ästhetisiert, sondern derb und grotesk zogen auch die beiden „Menschlinge“ vom Tanztheater Rubato hinaus in die Welt, auf der Suche nach einer längst schon verlorenen Idylle.
Langsam baute auch Gisela Müller ihr Bewegungsvokabular auf, sozusagen erst die Grundvoraussetzungen ihrer physischen Präsenz auf der Bühne, an einem Barren hängend, ausforschend. Sie fand aus sich heraus immer neue Schwerpunkte. Die Bewegungsimpulse schwemmten an sie heran mit dem Wellenrauschen und Möwenschreien des begleitenden Tons. Es gab keine Rätsel über die Bedeutung ihrer Bewegungsstudie - wie ein Findling, den ein Bildhauer aufgestellt hat, meinten die Bewegungen nur sich selbst.
Um das Trauma der verhinderten Entfaltung kreiste das Solo von Leanore Ickstadt, die Sprachbehinderung als Metapher für Behinderung der Kommunikation zum Ausgangspunkt nahm. Allerdings rückt sie um der Deutlichkeit ihres Anliegens willen nahe an die Pantomime; doch gerade das Im-eigenen -Körper-gebremst-und-gebunden-sein, das Umschlagen von psychischen Zwängen in physische Begrenzungen hätte eine sehr präzise tänzerische Umsetzung erfordert.
Gänzlich belanglose Show wie von der dribbelnden, sportelnden und mäßig jazzenden Truppe des Dance Theatre Raydiation bildeten auf den Tanztagen die Ausnahme. Wohl aber zeigten einige Amateure und bemühte Pädagogen ihr Können, das allerdings mehr ihrem eigenen Vergnügen als dem eines fremden Publikums dienen kann. Vor allen die „Gebete an die Göttin“ von Tiamat S.Ohm waren wenig für die Bühne geeignet. Die Tanztherapeutin und Biodynamikerin konnte nichts vermitteln von der Bedeutung der Bewegungen für ihr Ich und ihr Körpergefühl. Ihr Ritual wirkte wie die gymnastische Karikatur einer Beschwörung, der das Erscheinen des auf einer Indienreise kennengelernten Geistes hier leider auf ewig verwehrt bleibt. Ähnlich mystisch raunendes Pathos stieg aus dem Drehtanz der Amateurtanztruppe des Tanzraumes auf, den Anne Markas als eine Hommage an Mary Wigman choreographiert hatte.
Am schwersten aber war die Situation wohl für die, die wie die Colibri Dance Company auf der Kippe zwischen Professionalität und Amateurgruppe stehen. Die Company, seit September 1988 von Calvann Cole geleitet, könnte man als warnendes Beispiel dafür nehmen, wie sich ein Tanzlehrer zum Choreographen aufschwingt und bedenkenlos seine halbgaren Tänzerinnen verheizt. Sie strengten sich an, seine Konzeption von anonymen, mechanisierten Beziehungen auszuführen, und schoben sich wie in einer digitalisierten Peep-Show in nicht einmal besonders originellen Strukturen über die Bühne. Ein weiteres Lehrstück über die merkwürdig vergötternden Verhältnisse zwischen männlichen Lehrern bzw. Choreographen und ihren zum größten Teil weiblichen Schülern und Tänzern scheint die Gruppe Dance Berlin abzugeben mit ihren ehrgeizigen Raubzügen durch bekannte Tanztheaterbilder.
Sehr viel eigenständiger, selbstbestimmter, differenzierter in den Formen, präziser im Festhalten eines gewählten Materials und weniger aufgesetzt wirkten dagegen die Soli einiger Tänzerinnen. Sie nahmen nicht an der Inflation des Tanztheaters teil. Patricia Bermudez, die auch bei Dance Berlin dabeigewesen war, bestimmte in einem konzentrierten Prolog nur die Kraftzentren und Richtungen ihres Tanzes, bevor sie ihr Temperament zu einem Lied von Mercedes Sosa entfaltete. Sigrid Spachtholz verfremdete einen Tango, pointierte ironisch die Gesten der Leidenschaftlichkeit. Jördis Jakubczik umschmeichelte in „Solo mit Sax“ ihren Schatten an der Wand, bevor sie durch einen imaginären Streit hetzte, wie ihn Verliebte führen. Brigitte Markland, Spezialistin aus dem grotesken Fach, spielte knarrend Nosferatu, der sich drohend aus seinen tausend Kleiderhülsen schält. Bei ihnen allen war ihr Stil zu ihrem eigenen Ausdruck geworden, und sie bezogen Spannung oder Witz aus der bewußten Reflexion der weiblichen Rolle der Tänzerin.
Frauke Havemann, Christian Petzold und Christine Guillet folgten in ihren Choreographien einer sehr intellektuellen Tradition, anknüpfend an den Cunningham-Stil. Aus zunächst simplen Strukturen und wenigen Bewegungselementen bauten sie durch Wiederholungen und Variationen immer komplexere Gefüge auf. Eine Tanzsequenz erinnerte mich an das Vektorenbild einer Malerin, die zuerst sachlich Maschinen gemalt hatte und dann, um die reine Bewegung darzustellen, nur noch farbige, auseinanderstrebende Balken malte. Trotzdem bewahrten diese mathematischen und mechanischen Choreographien, die bei allem Tempo und trotz großem Kraftaufwand von den guten Tänzern doch immer mit gleichbleibender Leichtigkeit und Präzision ausgeführt wurden, ein Moment der subjektiven Behauptung: Was wie der komplizierte und nicht mehr zu durchschauende Rhythmus einer Maschine aussieht, ist eben nur funktionsloses Spiel, ausgedacht und hervorgebracht von einem seine Autonomie beweisenden Willen. Ein reiner Überschuß der Kräfte wird vorgeführt, der zwar strengen, selbstauferlegten Disziplinierungen folgt und seine Energien präzise verwaltet und doch durch die Zwecklosigkeit seines Tuns gegen die Logik der Ökonomie und die Funktionalisierung des Körpers protestiert.
Über die Nüchternheit lagerte sich bei Regina Baumgart, Tänzerin und Choreographin, in einem Solo ein ganz fremdes Pathos. Sie tanzte mit scherzhafter Intensität, sandte mit zitternder Spannung einen beängstigenden Bann aus.
Das Spektrum der Berliner Tanzszene, soweit es sich jetzt in der Tanz-Initiative zusammengeschlossen hat und nun auf den Tanztagen Einblick in seine Arbeit gab, rückte enger zusammen, als die ersten Ankündigungen vermuten ließen. Dies lag daran, daß viele Tänzer aus einer Compagnie auch selbst Stücke choreographiert hatten. So war alles zusammen genommen am Ende die Anzahl der professionellen oder zumindest halbwegs auf dem Weg zur Profession befindlichen Tänzer doch nicht so groß. Während sich in den Soli und Duos sehr viel an kreativen Ideen zeigte, konnten die meisten Gruppenchoreographien nicht gerade überzeugen und bestätigten damit die alte Klage, daß für Tänzer wenig, für die Entwickung guter Choreographien aber bisher überhaupt nichts getan wird.
KBM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen