: Wenn das Robespierre wüßte...
...er würde sich im Grabe umdrehen / Intellektuelle haben das Streiten verlernt ■ Aus Paris Georg Blume
Drastisch wie selten zeichnet sich in diesen ersten Wochen des langerwarteten Jubiläumsjahres die Provinzialität der dominierenden französischen Intellektuellen am Pariser Festhimmel ab. Die Unzahl historischer Veröffentlichungen zur 200-Jahrfeier der französischen Revolution, deren bedenkenlose Vermarktung in allen Formen der modernen Kommunikation, und all der Festrummel, der den Franzosen in diesem Jahr noch die Ohren taub machen wird, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß niemand bisher die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit mit einer aktuellen These zur großen Revolution an sich ziehen konnte. Es scheint als haben Frankreichs Intellektuelle schon zum Jahresbeginn den Versuch aufgegeben, jene revolutionäre Streitkultur wiederzubeleben, die nicht nur einem Mirabeau oder Robespierre, sondern dem ganzen Land vor 200 Jahren Ehre machte.
Beispielhaft für die intellektuelle Unkultur im Festjahr der Revolution ist ein Trilog, der sich zu Beginn dieses Jahres zwischen drei Medienstars der Pariser Geisteswelt entspannte.
Am Anfang dieses Trilogs steht Fran?ois Furet, der heute wie kein anderer französischer Historiker zur offiziell -allgemeingültigen Referenz für 1789 aufgestiegen ist. Kaum jemanden stört es dabei, daß Furet für jeden Alt-Linken als Revisionist gelten muß, da er die Revolution als nunmehr „passe“ abhandelt, für die Gegenwart nichts mehr von ihr wissen will und sie damit endgültig in die französischen Schulbücher verdammt. Vor Jahren hätten seine Thesen einen Entrüstungssturm bei Sozialisten und Kommunisten ausgelöst, heute ist das nicht mehr so.
Dieser Furet also, nach Mitterrand, so könnte man glauben, in diesem Jahr Frankreichs wichtigste Stimme in der Welt, hat zu Beginn des großen Festjahres nichts Besseres zu tun, als in der Zeitung 'Le Monde‘ eine Kritik über das gerade erschienene Buch seines Freundes Alain Minc zu veröffentlichen1, mit der er dessen Werk in den Himmel lobt. Minc ist ein junger Sozialist, der sich zur „liberal -amerikanischen Linken“ in Frankreich zählt, jenen Fortschrittsgläubigen, die heute das Lied des Profits besser singen als jeder konservative Gaullist. Furet lobt nun Minc aufgrund seiner bravourösen Idee, welche lautet: Frankreichs größte Bedrohung liegt heute in der „bundesdeutschen Entgleisung nach Osten“ (Furet) - eine Idee, die leider schon Jahrhunderte alt ist. Doch was soll's: Engstirnigkeit geht vor in Paris. Furet, der zu Deutschland bisher nie etwas zu sagen hatte, schreibt für Minc, weil beide zusammen die Stiftung „Saint-Simon“ gründeten, der heute jeder intellektuelle Möchtegern angehören will, und weil es derzeit lohnt, eine Furet-Kritik in 'Le Monde‘ zu haben. Was aber ist das wirklich: kleinkariertes Lobbying mit großen Worten, derzeitige Lieblingsbeschäftigung der Pariser Intellektuellen.
Als Dritter stieg dann im Februar Regis Debray mit in den Ring, der in den sechziger Jahren Che Guevara im bolivianischen Dschungel begleitete und in den achtziger Jahren Fran?ois Mitterrand im Elysee-Palast beriet. Von TV, Radio und Zeitungen wird Debray derzeit vorgeschickt, um die an der Furet-These („Die französische Revolution ist vorbei...“) erlahmte Intelligenzija aufzumöbeln. Dazu fiel ihm, dem französischen Fernsehen und dem Zeitgeistmagazin 'Globe‘ nichts Besseres als ein Streitgespräch mit Alain Minc, in dem dann so begeisternde Sätze auftauchen wie etwa: „Immer weniger wird die Geschichte durch Gewalt vorangetrieben“ (Minc) oder „Die Republik ist eine Mystik ohne Gott“ (Debray). Damit ist dann schon die ganze Polemik um die Revolution und ihre Folgen ausgeschöpft.
Natürlich tritt Minc in diesem Rahmen als Jünger Furets auf, und ebenso natürlich wünscht sich Debray am Ende des Gesprächs mit Minc, daß man das nächte Mal doch „alle zusammen mit Fran?ois Furet“ diskutieren solle. Wird es dann soweit sein, schließt sich der Kreis: Fran?ois Furet, Alain Minc und Regis Debray diskutieren untereinander und unter Niveau, ergötzen sich gegenseitig aneinander zur intellektuellen Alleinunterhaltung. Das ist die Pariser Provinzialität von heute. Das Jubiläumsjahr ändert nichts an ihr. Robespierre dreht sich im Grabe um.
1 Alain Minc: La grande illusion, Edition Grasset, Paris 1989, 98 Francs
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