: Die Flüchtlingsprogramme kommen nicht in Gang
■ UNO-Beauftragter Aga Khan sitzt auf dem Geld und kann nichts ausgeben / Die Mudschaheddin stellen sich bisher stur
Auf inzwischen 888 Millionen US-Dollar sitzt Saddrudin Aga Khan - und kann bisher kaum einen Cent ausgeben. Seit Juni 1988 hat der von UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar ernannte Koordinator für Hilfsprogramme in Afghanistan die internationale Völkergemeinschaft mobilisiert. Allein bei der bisherigen Besatzungmacht machte er 600 Millionen Dollar für sein Sonderkonto „Wiederaufbauhilfe“ locker. Einen ersten Plan für den von ihm „Operation Salam“ getauften Maßnahmenkatalog hatte Aga Khan bereits im September 88 erarbeitet: zur Repatriierung der 5,6 Millionen Flüchtlinge, zum Wiederaufbau der zerstörten Dörfer und der Landwirtschaft sowie zur Beseitigung der Landminen.
Gestern legte der UNO-Beauftragte und ehemalige Hochkommisar der Vereinten Nationen für Flüchtlingsfragen eine aktualisierte Fassung vor, pünktlich zum Abschluß des sowjetischen Truppenabzuges. Sie enthält präzise Pläne für die Anlage von Nahrungsmittelvorräten und die Verteilung von Saatgut. Der Wiederaufbau von Schulen, Wasserleitungen, Krankenhäusern und anderen Infrastruktureinrichtungen zur Befriedigung der wichtigsten Grundbedürfnisse ist im Detail geplant und könnte morgen losgehen. Die Grenzübergangsstellen für rückkehrende Flüchtlinge aus Pakistan und Iran sind eingerichtet. Internationale Minenräumungsteams sind zusammengestellt.
Doch bislang bewegt sich fast nichts. Der andauernde Bürgerkrieg verhindert, daß die Maßnahmen in Gang gesetzt werden können. Insbesonders der erwartete Rückstrom der Flüchtlinge ist ausgeblieben. Laut einer Aufstellung Aga Khans kehrten zwischen Januar 1987 und Oktober 1988 ganze 169.912 der mindestens 5,6 Millionen Exilafghanen in ihre Heimat zurück. Nach einem Besuch der Flüchtlingslager in Pakistan nannte der UNO-Koordinator in einem Pressegepräch am Sonntag in Islamabad fünf Vorbedingungen für eine Flüchtlingsrückkehr in großem Maßstab: Räumung der Minen, Beendigung der Bombenangriffe, Nahrungsmittelsicherheit sowie eine Regierung in Kabul, die das Vertrauen der Flüchtlinge genießt.
Aga Khan äußert sich zwar zuversichtlich: alle am Konflikt Beteiligten innerhalb und außerhalb Afghanistans hätten ihm „volle Kooperation“ zugesagt. Aber das ist eher Zweckoptimismus. Verbale Zusicherungen aus den Reihen der Mudschaheddin haben bisher jedenfalls die Besatzungen von der UNO gecharterter Hilfsflugzeuge nicht überzeugen können, Kabul oder andere afghanische Städte anzufliegen. Lediglich acht Tonnen Lebensmittel konnte die UNO am Montag ins belagerte Kabul schaffen - für 800 ausgewählte Menschen, vor allem Mütter mit kleinen Kindern. Sie bekamen dann an den drei Ausgabestellen jeweils zehn Kilo Weizen, zwei Decken und Speiseöl. Als Rückschlag für die Bemühungen des UNO -Koordinators muß auch die Tatsache wirken, daß der Präsident des Internationalen Roten Kreuzes, Sommaruga, am Montag in Genf den Abzug von zunächst zwanzig der 60 Rotkreuzler aus Afghanistan ankündigte. Sie seien „außerhalb Kabuls nicht mehr sicher“.
Auf einen Zeitrahmen für das Wiederaufbauprogramm will sich Aga Khan denn auch nicht festlegen. Jetzt komme zunächst einmal eine „Notstandphase, vor allem in den städtischen Regionen“. Wann die Phasen zwei und drei seines Generalstabsplans (Flüchtlingsrückführung und Wiederaufbau) beginnen können, weiß auch er nicht zu sagen.
Andreas Zumach (Genf)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen