: Reizklima nach dem CDU-Rückzug
SPD-Geschäftsführer Kremendahl ortet ideologische Torpedos von der AL und „böse antiamerikanische Töne“ / CDU-Landowsky: „Rot-Grün, eine Koalition des Irrsinns / Heute kein Gespräch über große Koalition ■ Aus Berlin Brigitte Fehrle
„Die oder wir“: Eberhard Diepgen wurde gestern ultimativ. Er verlangte von den Sozialdemokraten, sie müßten sich entscheiden, mit wem sie Koalitionsverhandlungen führen wollten. Die aber haben sich praktisch entschieden: SPD-Chef Momper schrieb gestern an Diepgen, daß er „keinerlei Vorbedingungen“ für die Gespräche akzeptieren könne. Damit ist klar: Momper bleibt mit den Alternativen allein.
Um die bei den jetzt warm laufenden Verhandlungen im Zaum zu halten, schlug SPD-Landesgeschäftsführer Kremendahl gestern scharfe Töne an. Eine „Provokation“ nannte er die Äußerungen der Berliner Abgeordneten Meneses und Fries bei der Fraktionssitzung der Grünen am Dienstag. Die beiden hatten dafür plädiert, daß die AL die von der SPD geforderten Essentials nicht annehmen solle. Meneses sagte vor der Fraktion, die AL sei „als Ganzes für die militante Opposition“. Für Kremendahl sind solche Äußerungen „ideologische Torpedos“. Außerdem wirft Kremendahl dem Al -Politiker Christian Ströbele vor, er habe in einem WDR -Interview „böse antiamerikanische Töne“ angeschlagen. Im Fernsehmagazin „ZACK“ hatte Ströbele gesagt, er wolle nicht, daß der amerikanische Präsident Bush nach Berlin kommt.
Die CDU übt inzwischen schon Opposition. Generalsekretär Landowsky fährt scharfe Attacken von Rechts gegen die grün -roten Verhandlungen. Eine „Koalition des Irrsins“ komme dabei heraus, wenn „Sozialdemokraten, Chaoten, Kommunisten und Sozial-Anarchisten“ zusammengingen, sagte Landowsky und rief die Öffentlichkeit zu „breitem Widerstand“ gegen eine Allianz aus SPD und AL auf. „Verbale Boshaftigkeit“, so die AL postwendend über Landowsky.
Nachdem Diepgen am Montagabend die Sozis mit der AL alleine ließ, verkehrten die Spitzenmänner gestern nur noch brieflich miteinander. Doch wieviel auch hin und her interpretiert wurde, am Ende blieb es bei der Absage des für heute abend angesetzten Koalitionsgesprächs durch die Christdemokraten.
Der Noch-Regierende hat damit Mompers Kalkül durchkreuzt. Der wollte noch länger nach beiden Seiten verhandeln und offenhalten, ob er die kleine Koaliton mit der AL oder die große Koalition mit der CDU einfädelte. Die Christdemokraten fühlten sich als „Alibi“ mißbraucht. Sie seien, so tönte es, „zum Wohle der Stadt“ zwar weiterhin bereit mit den Sozialdemokraten zu verhandeln. Aber erst müßten diese die „notwendige Klarheit“ hergestellen. Quer durch die Strömungen ist man sich bei den Christdemokraten einig, daß Gespräche mit der SPD zur Zeit zu nichts führen. Man habe keine Lust, von der SPD als Druckmittel gegen die Alternative Liste benutzt zu werden, heißt es. Der Beschluß, die Gespräche mit Momper vorläufig einzustellen sei von der Funktionärsdelegation, die am Dienstag beim Regierenden war, einhellig getroffen worden, berichteten Beteiligte. Siehe auch Seite 5
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