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Ein Leben lang mit dem Tode gelebt

Hans Mayer, Literaturprofessor und Literat, über Thomas Bernhard  ■ I N T E R V I E W

Ich kann jetzt beim Tod von Thomas Bernhard nicht mit einer literarischen Beurteilung aufwarten. Ich kannte ihn recht gut, ich habe ihn sehr gemocht. Sein Tod tut weh, er ist für uns alle ein großer Verlust. Bernhard war seit seiner Jugend krank, er hat das ja in den Büchern über die Geschichte seiner Jugend beschrieben. Aber jetzt, da er plötzlich tot ist, ist das doch ein Schock. Ebensogroß wie vor ziemlich genau fünf Jahren die Nachricht, Uwe Johnson sei tot aufgefunden worden. Das tut weh.

Daß Bernhard ein eminent begabter und hochgebildeter Schriftsteller war, das wußte man seit den frühen Stücken, seit seiner frühen Prosa-Texten, also schon seit den sechziger Jahren. Natürlich war Bernhard sehr verletzlich, auch aggressiv, aber auf der anderen Seite, und ich glaube, das gehört auch zu Bernhard: Er war ein spielerischer Mensch. Er hatte Freude am Spiel, und viele von seinen Bosheiten, die er in Interviews von sich gab, die sind unter anderem auch spielerisch, gar nicht so ernst gemeint, außer dort, wo er den Leuten ganz brutal seine Meinung sagte. Weniger seinen literarischen Kollegen als den Regierungen, dem Staat, oder wenn er sich zu Waldheim äußerte. Aber gerade da hat er im wesentlichen immer recht gehabt.

Was meinen Sie zu Reich-Ranickis Standardspruch: „Bernhard? Großartig als Erzähler, aber als Dramatiker drittklassig.“

Ich lese gerade die Berliner Rede von Alexander Kluge von 1985 anläßlich der Verleihung des Kleist-Preises, und da steht der schöne Satz: „Ich bin stolz darauf, Reich-Ranicki wird mir nie einen Preis verleihen, und ich bin stolz darauf, daß ihn mir Helmut Heissenbüttel verliehen hat.“

Bernhard ist ein ungemein vielseitiger Autor. Seine Begabungen, die er alle integriert hatte, eine große Musikalität - er war Absolvent des Mozarteums, ausgebildeter Oratoriensänger, ich nehme an, er hat auch komponiert -, er war ein genauer Kenner der französischen und spanischen Literatur.

Seine Theaterstücke sind etwas ganz Neues, sie widersprechen den Erwartungen eines deutschen Theaterbesuchers. Es sind klassische Charakterkomödien der lateinischen Art, wie bei Goldoni, wie bei Marivaux, wie bei Moliere. Der Weltverbesserer oder Der Theatermacher, das sind Stücke, die muß man genauso verstehen wie Der Geizige und Der Misanthrop usw., als Charakterkomödien eben. Im Zentrum immer eine Figur, die er mit Hilfe seiner musikalisch komponierenden Sprache aufbaut.

Diese Stücke sind ja so genau gearbeitet, daß sie auf der Bühne immer unwiderstehlich wirken, wenn große Schauspieler sie spielen, wie Minetti oder Gerd Voss oder Ilse Ritter oder Kirsten Dene, denen er allen ja auch Stücke gewidmet hat.

Ich will noch etwas zum Erzähler Bernhard sagen: Holzfällen, ein dickes, umfangreiches, gleichsam monomanisch kreisendes Buch, das aber genauso gearbeitet ist wie andere große kreisende Werke der modernen Literatur. Insofern gar nicht anders als Faulkner, Beckett oder Joyce, und es steht durchaus auf diesem Niveau. Holzfällen, da hat er sich den Luxus geleistet - ob das geschmackvoll war, ist eine andere Frage - Leute, unter anderem auch den Jandl und die Fritzi Mayröcker so anzugreifen, aber wenn man genau liest und ein bißchen gebildet ist, dann merkt man: Holzfällen ist außerdem noch ein ganz anderes Buch. Holzfällen ist ein Bernhardscher Versuch, ein Gegenstück zu Proust zu geben. Es ist Prousts „Wiedergefundene Zeit“, jetzt von Bernhard nach Wien übertragen. Genau dieselbe Situation: da ist eine Abendgesellschaft der Prinzessin von Guermantes oder hier den Auersbergern, der Erzähler kommt nach langer Zeit wieder hin, er erlebt als Zuschauer die Leute, verläßt dann die Party und schließt mit dem Gedanken: dies hier muß aufgeschrieben werden. Ich habe mir die Freude gemacht, den Schluß bei Proust und den Schluß in Holzfällen zu lesen. Keine Frage: Bernhard hat hier bewußt ein Gegenstück zum Schlußband von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ geschrieben. Wer über Thomas Bernhard glaubt schnell urteilen zu können. Der täuscht sich. Thomas Bernhard war ein ungemein kluger, gebildeter, gewitzter Autor, der genau wußte, was er wollte.

Heldenplatz. Ich war in der 23. völlig ausverkauften Aufführung. Die Leute saßen in atemloser Spannung. Es war eine der besten Inszenierungen, die Peymann je überhaupt geliefert hat. Mit den ganz großen Schauspielern von Marianne Hoppe über Kirsten Dene bis zu dem großartigen Wolfgang Gasser, der die Rolle des Professor Schuster spielt. Es ist ein Stück auf der Höhe, meine ich, einer späten Tschechow-Aufführung. Durchaus vergleichbar mit der Art, wie Peter Stein in Berlin Die drei Schwestern inszeniert hat. Also ein ganz anderes Stück als die Leute es nach dem Skandal erwarten. Heldenplatz ist auch eine Zusammenfassung der kleinen romanischen Charakterkomödien mit einem Protagonisten, ja es ist im Grunde der Rückweg zu diesem wunderbaren frühen Stück Die Macht der Gewohnheit. Das Thema Vergeblichkeit. Wir wollen nicht vergessen, und vielleicht ist das Charakteristische, wenn man Bernhard verstehen will: er hat ein Leben lang immer mit dem Tode gelebt.

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