: HIV-Grundsatzurteil verpennt
■ Bundesarbeitsgericht bestätigt Entlassung eines HIV-Infizierten / Aus formalen Gründen keine Grundsatzentscheidung über Kündigungsschutz bei HIV / Kopfschütteln auf der Pressebank
Berlin (taz/ap) - Die Kündigung des 40jährigen HIV-positiven Floristen Joszef B. durch seinen Arbeitgeber war „rechtsmäßig“. Dies entschied gestern in letzter Instanz das Bundesarbeitsgericht in Kassel. Es war der erste Aids-Prozeß vor dem Bundesarbeitsgericht. Doch eine grundsätzliche Klärung des Kündigungsschutzes bei HIV blieb aus.
Das Gericht erklärte, der Blumengroßhändler Hans-Joachim Muschkau habe Joszef B. nicht aus niedrigen und verwerflichen Gründen entlassen und ihn wegen seiner Erkrankung auch nicht diskriminiert. Deshalb sei die Entlassung auch nicht „sittenwidrig“ und somit rechtmäßig.
Der entlassene Florist hatte im August 1987 erst kurze Zeit bei dem Düsseldorfer Blumenhändler gearbeitet, als er von seiner Infektion erfuhr. Nach einem Suizid-Versuch blieb er einige Zeit arbeitsunfähig und informierte anschließend den Arbeitsgeber von seinem HIV-Status. Zwei Monate später - er war noch immer arbeitsunfähig und krank geschrieben erhielt er die Kündigung, in der aber keine Gründe für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses genannt waren. Da die Kündigung innerhalb der sechsmonatigen Probezeit erfolgte, war die Rechtsposition des Arbeitgebers stärker.
Das Bundesarbeitsgericht hatte die Sachlage selbst nicht zu prüfen. Da es der Anwalt des Klägers versäumte, eine „Sachrüge“ zu beantragen, stand die inhaltliche Beurteilung des Falles durch die Vorinstanz nicht mehr zur Debatte. Das Landesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil entschieden, daß Ängste vor einer Ansteckung, auch wenn sie noch so unbegründet seien, nicht als sittenwidrig die „Mißbilligung aller billig und gerecht Denkenden“ verdient hätten. Die Vorinstanz hatte außerdem auf ein Ansteckungsrisiko durch Stich- und Schnittverletzungen bei der Beschneidung von Blumen hingewiesen. Das Kasseler Gericht hielt dies zwar für unwahrscheinlich, durfte sich aber aus formalen Gründen nicht mit dieser Fragestellung befassen.
Für das Gericht war ausschlaggebend, daß Muschkau nicht unmittelbar nach Bekanntwerden der Infektion von Joszef B. gekündigt habe, sondern erst nachdem die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar gewesen sei. Joszef B. hielt dem entgegen, daß nicht die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, sondern die HIV-Infektion der Grund für die Entlassung gewesen sei.
Kopfschütteln auf der Pressebank löste die Prozeßstrategie des Kläger-Anwalts aus. Obwohl das Gericht mehrfach darauf hinwies, daß ihm ohne eine „Sachrüge“ die Hände gebunden sind und eine grundsätzliche neue Bewertung des Falles dann nicht möglich ist, unterblieb dieser formale Schritt. Aufbauend auf der Sachbeurteilung der Vorinstanz blieb dem Kasseler Gericht nur die Möglichkeit der formal-rechtlichen Beurteilung.
Die Deutsche Aids-Hilfe, die einen Prozeßbeobachter entsandt hatte, bedauerte das Urteil. Das Gericht habe aber zu erkennen gegeben, daß es eine besondere Schutzbedürftigkeit von Menschen mit HIV oder Aids am Arbeitsplatz durchaus sehe. Aus formalen Gründen sei der zweite Senat aber nicht in der Lage gewesen, hier eine grundsätzliche richtungsweisende Entscheidung zu treffen. Friedrich Baumhauer, Rechtsexperte der Deutschen Aids-Hilfe: „Hier ist noch nichts entschieden, in einem anderen Fall kann das ganz anders ausgehen“.
Aktenzeichen: Bundesarbeitsgericht 2 AZR 347/88
man Siehe auch Kasten auf Seite 5
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen