Neulich im türkischen Cafe

■ Türkische Männer können zum Bahnhof gehen, zur Ausländerpolizei - oder ins Cafe / Dort können sie vier Stühle in Beschlag nehmen, Spione überführen oder ungeniert auf „Dallas„-Pamelas Beine starren

Ich bin wieder in mein türkisches Cafe gegangen. Um an Ahmet Rache zu nehmen, der mich gestern beim Bagammonspiel mal wieder geschlagen hat. Diese Cafes sind für uns Türken unser „ein und alles“.

Wir haben sonst nichts, wohin wir gehen können, außer zum Bahnhof und zur Ausländerpolizei. Ein türkisches Sprichwort sagt: „Der Fuchs kann so weit laufen, wie er will. Am Ende landet er doch im Pelzgeschäft.“ Und türkische Männer findet man auch nur an einem Ort: im Cafe. Die Cafes sind natürlich nur für Männer offen, für Frauen sind sie selbstverständlich unschicklich.

Im Sommer - in der Türkei gibt's sowas häufiger als hier stellt man die Stühle vor die Türen. Und jeder Gast nimmt vier Stühle in Beschlag. Einen für den Hintern, einen für die Füße und je einen für den rechten und linken Arm. Dazu gibt es eine Anekdote: In Moskau gab es einen türkischen Spion. Der sowjetische Geheimdienst wußte das, konnte den Spion aber nicht entlarven. Deswegen wurde jemand - sagen wir der Genosse Karpow - nach Istanbul geschickt, um die Türken zu studieren und um danach in Moskau den türkischen Spion zu entdecken. Karpow telefonierte - so gut es geht nach zwei Tagen aus Istanbul nach Moskau: „Kontrolliert alle Cafes, und wer auf mehr als einem Stuhl sitzt, ist garantiert der Türke.“ Noch am selben Tag wurde der türkische Spion erwischt, als er es sich gerade auf vier Stühlen gemütlich gemacht hatte, um seinen Tee zu trinken.

In allen türkischen Cafes steht ein Fernseher. Und sobald die

US-Superserie „Dallas“ auf dem Bildschirm erscheint, verwandeln sich alle türkischen Cafes in Kinos. Alle Würfel und Karten bleiben liegen, die Diskussionen verstummen. Alle Augen starren auf J.R.'s Mercedes, auf Pamela's Beine und auf Lucy's Busen. Aus allen Ecken kommen Seufzer.

Seitdem es „Dallas“ gibt, sind bei uns alle Namen geändert worden, bis auf den Namen der „Türkischen Republik“. Heute tragen fast alle Hotels, Restaurants, Geschäfte und Imbißbuden den wunderhübschen Namen „Dallas“. Die bedauernswerten Menschen, die keine Hotel, Restaurants oder Geschäfte besitzen, die sie in „Dallas“ umtaufen können da

von gibt es in der Türkei mehrere - nennen ihre Katze „Pamela“, die Esel „Bobby“ und die Hunde und Hähne werden zu „J.R.'s“. Kürzlich war in unserer Regenbogenpresse zu lesen, daß „Dallas“ schon wieder ein Leben gerettet hat. Um „Dallas“ zu sehen, besuchte eine Familie den Nachbarn, der ein Fernsehgerät besitzt. In ihrer Abwesenheit wurde ihr Heim von einer Kamelherde in Grund und Boden getrampelt und zum Glück kam kein Menschenleben zu Schaden. Man sieht, „Dallas“ rettet den Türken sogar das Leben. „Hoch lebe die USA! Hoch lebe Dallas! “

Jetzt bin ich etwas vom Thema abgekommen, eigentlich wollte ich etwas ganz anderes erzählen.

Aber es mußte sein, weil die Türken ohne Cafes, Cafes ohne Fernseher und Fernseher ohne „Dallas“ nicht denkbar sind. Weil ich ein bißchen Deusch spreche, muß ich für die Kollegen ständig übersetzen. Ich tue wenigsten so. Zum Ausfüllen bekomme ich alle möglichen deutschen Formulare in die Hand gedrückt. Mal wieder muß ich einem Asylbewerber seinen Ablehnungsbescheid übersetzen.

Dann will jemand unbedingt, daß ich mit zum Rechtsanwalt komme. Wie üblich erzählt er mir die wahre Geschichte erst auf dem Fußweg zum Anwalt. Und ich erzähle es dem Rechtsanwalt dann auf Deutsch: „Dieser Kollege hat vor zwei Jahren auf Raten einen Fernseher gekauft, um 'Dallas‘

anzugucken. Nur knapp drei Monate später wurde ihm dieser Fernseher - von einem anderen 'Dallas'-Süchtigen - aus der Wohnung geklaut. Ohne zu Murren, zahlte der Kollege trotzdem 20 Monate lang weiter die Raten. Danach dachte er, daß er für seinen Teil den Vertrag vollständig erfüllt hätte. Zwei Monate später bekommt er einen Brief von der TV-Firma. Sie will die zwei ausstehenden Monatsraten, die Mahngebühren und den Fernsehapparat sofort haben. Ganz offensichtlich hat die TV-Firma dem türkischen Familienvater einen Miet-anstelle eines Kaufvertrages untergejubelt. Er hat im Glauben, die Raten abzuzahlen, die ganzen Jahre die Mietgebühren für den geklauten Fernseher an die TV-Firma überwiesen.“

Nachdem ich mit dieser Geschichte zuende bin, brüllt der Rechtsanwalt vor Lachen. Als er mit seinem Hohngelächter fertig ist, beschimpft er lautstark die TV-Firma.

Ich wußte gar nicht, daß es in der deutschen Sprache so viele Schimpfwörter gibt. Natürlich gibt es nicht so viele wie im Türkischen, aber die Vielfalt ist durchaus beeindruckend.

Das Volk erfindet für jedes neue Problem ein neues Schimpfwort. Die Vielfalt der Probleme eines Volkes ist an der Vielfalt seiner Schimpfwörter ablesbar.

Auf dem Weg zurück ins Cafe - er will mir einen Tee ausgeben - habe ich sehr viel Mühe, alle Schimpfwörter des Rechtsanwaltes ins Türkische zu übersetzen. Obwohl unsere Muttersprache mit derartigen Ausdrücken mehr als gesegnet ist.

Osman Engin