: „Das Tor ist auf für eine rot-grüne Koalition“
■ Interview mit Otto Schily zur Einigung zwischen SPD und AL über die Essentials: „Ich bin sehr zufrieden“
taz: Jetzt sind die Essentials samt Anhang von der Verhandlungskommission von SPD und AL in einem gemeinsamen Papier festgelegt und veröffentlicht. Hast du den Eindruck, es ist eine Mogelpackung?
Otto Schily: Nein. Ich kann der Kommission nur zu ihrer Arbeit gratulieren. Das Papier erfüllt all das, was notwendig war. Daß manche Umschreibungen für bestimmte Reizworte gewählt worden sind, das stört mich nicht. Es ist in dem Papier genau definiert, was mit Gewaltmonopol des Staates gemeint ist und es wird anerkannt.
Mit anderen Worten, deine Skepsis ist geschwunden. Du bist zufrieden und siehst in dem Papier keinen Formelkompromiß, der ein paar Monate nicht überlebt?
Nein, im Gegenteil. Ich glaube, die Klarheit, die mit diesem Papier geschaffen wurde, ist eine gute Grundlage dafür, auch mit Krisensituationen fertig zu werden. Krisensituationen kommen unweigerlich auf ein rot-grünes Bündnis zu. Wenn man Klarheit geschaffen hat, dann kann man nicht ins Schlingern geraten.
Gibt es irgendwelche Formulierungen, die dir problematisch erscheinen - und welche Aussagen findest du besonders positiv? Kannst du eine politische Bewertung im Detail vornehmen?
Es ist für mich von großem Gewicht, daß beide Parteien erklären, die Anwesenheit der drei Alliierten-Mächte seit dem Ende des Krieges habe es ermöglicht, daß die Stadt sich frei und demokratisch entwickeln konnte. Das ist eine Aussage, die in dieser Klarheit sehr wichtig ist. Zweitens: Bedeutsam an dem Papier ist auch, daß darin festgehalten ist, daß es vierzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr angeht, das Besatzungsrecht so zu handhaben, wie es bisher noch der Fall war. Änderungen sind notwendig. Die Absichten, die in dem Papier aufgeführt sind, die finde ich alle richtig.
Die Gewaltfrage scheint mir in dem Papier sehr naiv und akademisch bearbeitet worden zu sein. Etwa wenn vom Zurückdrängen der Gewalt die Rede ist, oder wenn es heißt, Gewalt tritt auch dort auf, wo legitime Bedürfnisse in der Gesellschaft ignoriert werden.
Das sind doch Erkenntnisse, die uns seit langem vertraut sind. Daß das Zurückdrängen von Gewalt notwendig ist und sich beide Parteien das zum Ziel setzen, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Ich finde es übrigens auch richtig und habe es an anderer Stelle früher ebenfalls so formuliert, daß der Einsatz staatlicher Mittel immer nur das letzte Mittel sein darf, die ultima ratio. Über eines muß man sich nur immer im klaren sein: Es gibt keine Sanktionsgewalt außerhalb der rechtsstaatlichen Institutionen. Diese Klarheit sehe ich in dem Papier gewährleistet.
Ist der Weg zu einer rot-grünen Koalition in Berlin geebnet. Bist du optimistisch, was den weiteren Verlauf der Verhandlungen angeht, und siehst du eine schnelle rot-grüne Senatsbildung?
Da beide Parteien verlautbart haben, daß sie sich programmatisch in vielen Fragen schon sehr nahe gekommen sind - in den Unterkommissionen eine ganze Reihe von Fragen aufgelistet worden in denen Einigkeit besteht -, bin ich sehr optimistisch. Ich glaube, es kann nicht mehr zu großen Schwierigkeiten kommen. Es mag noch Schwierigkeiten im Detail geben, es wird sicherlich auch noch personelle Probleme geben, aber das Tor ist weit auf für eine rot-grüne Koalition in Berlin.
Zwischen Papieren und der Praxis bestehen große Unterschiede. Gerade wenn es um das staatliche Gewaltmonopol geht, aber auch bei anderen Fragen wird das deutlich werden. Dann muß man doch immer fragen, wie das gemeinsam Erarbeitete personell in der Praxis umgesetzt wird. Sollte die AL im Falle einer Koalition mit der SPD in einem dieser innenpolitisch brisanten Ressorts personell fest eingebunden werden?
Das muß die AL mit sich selbst abmachen. Ich glaube, die Neigung auf seiten der SPD wird nicht sehr groß sein, der AL das Innenressort zu übertragen. Die AL sollte sich nicht überfordern. Sie ist ja mit diesem Konsenspapier über ihren eigenen Schatten gesprungen.
Für mich stellt sich trotzdem die Frage nach der täglichen praktischen Umsetzung. Und ich habe schon einmal einen sozialdemokratischen Polizisten danach gefragt, ob nicht das gemeinsam Erarbeitete dann auch praktisch gemeinsam umgesetzt werden muß. Und etwa ein ALer in die Polizeiführung eingebunden werden sollte.
Ich kann dazu nur sagen, es gibt ja Polizeibeamte, die grün wählen.
In Berlin sind das aber vermutlich nur wenige...
Vielleicht wäre es gut, wenn die AL einen Arbeitskreis Polizei gründen würde. Auf Bundesebene gibt es ja die Arbeitsgemeinschaft Kritischer Polizisten. Ich finde es sehr sinnvoll, wenn Kontakte zur Polizei existieren. Ich habe neulich erst einen Vortrag bei der Gewerkschaft der Polizei gehalten. Das war sehr gut, es gab dort viel Offenheit und interessante Diskussionen vor allem auch in der Frage von Umweltkriminalität und ähnlichem. Es ist schon wichtig für die AL, auch gegenüber der Polizei Gesprächsbereitschaft zu gewinnen. Aber das Ressort nun gleich selber zu verwalten wäre doch ein bißchen zu viel...
Ich bin für 'ne stellvertretende Polizeipräsidentin der AL...
(lacht)
.. Das wäre doch auf dem Weg zur Zurückdrängung von Gewalt ein praktischer Schritt...
Warum nicht? Wenn es eine mutige Frau gibt, die das übernehmen will... Ich kenne sie noch nicht, aber vielleicht gibt es sie schon, und sie wird übersehen. Deine Skepsis, daß das Papier vielleicht nur Papier und das Verhalten etwas anderes sein wird, das muß die Praxis zeigen. Zunächst ist davon auszugehen, daß die Vertragspartner das, was sie vereinbaren, so durchhalten wollen. Wenn sie sich so weitgehend einigen, wie es jetzt bevorsteht, dann hat das eine Eigenwirkung auch auf die eigene Organisation. Wenn die AL die Koalition eingeht, wird sie auch großen Wert auf Vertragstreue legen.
Hast du eigentlich dein Interview, das du mir letzte Woche gegeben hast, angesichts des öffentlichen Theaters darum bereut?
Nein. Der Streit ist sehr schnell beendet worden. Ich bin fern von irgendwelchen Triumphgefühlen, aber da die AL ja bereit ist, sich auf die Essentials einzulassen, was soll ich mich da noch in Reue oder in Zerknirschungen ergehen, das finde ich überflüssig.
Interview
mtm
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