: Standbild: Glaubenskrieg: Methadon
■ Fluchtpunkt Amsterdam in der Reihe Gott und die Welt
(Fluchtpunkt Amsterdam in der Reihe Gott und die Welt. Freitag, 17.2., ARD, 21.55 Uhr) „Ohne das Zeug wäre ich schon längst tot.“ Amsterdam - ein Paradies der Fixer und Junkies, der Heroinabhängigen und Dealer. Eine liberale Drogenpolitik machte Amsterdam in den sechziger und siebziger Jahren zu einem Wallfahrtsort der Aussteiger. Das war einmal, die Zeiten haben sich geändert. Konservative Stadtbeamte wollen aus der heruntergekommenen Grachtenstadt wieder eine cleane Besucherstadt machen. Heute hat Amsterdam den Charakter eines Drogenparadieses verloren, macht sich aber durch ein fortschrittliches Therapiekonzept wieder einen guten Namen. Methadon - das chemisch-pharmazeutische Präparat, das in Deutschland zuerst begrüßt, dann heftig umstritten, dann verboten wurde, wird in Amsterdam kostenlos - auch an Ausländer - verteilt: Die Sucht nach Heroin soll durch die Abhängigkeit von Methadon ersetzt werden. Die kostenlose Vergabe, so hofft man in Holland, soll die Szene entkriminalisieren; Ziel des Unternehmens ist Drogenfreiheit.
Fluchtpunkt Amsterdam: Heute kommen viele deutsche Drogenabhängige nach Amsterdam, um mit Hilfe von Methadon ein neues Leben zu beginnen. Doch da die Amsterdamer Stadtverwaltung die vielen Ausländer nicht mehr betreut, sind die Methadonabhängigen nach wie vor darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt durch Einbruch, Prostitution und Diebstahl zu verdienen.
„Wenn es Methadon in der Bundesrepublik gäbe, würde ich auch arbeiten können, ein normales Leben führen können“, klagt die 30jährige Silvia. Für die 25 Gulden, die ihr Zimmer kostet, muß sie auf den Strich gehen. „Seitdem ich Methadon nehme, schiebe ich aber keinen Turkey mehr, es geht mir gut, ich kann mir die Freier aussuchen, weil ich nicht mehr so viel Geld brauche.“ „Ich habe Methadon mein Leben zu verdanken“, sagt eine andere, „doch da ich in Deutschland niemand finde, der mir Methadon verschreibt, muß ich weiterhin in Amsterdam leben.“
Warum ist Methadon in Deutschland zu einem Glaubenskrieg geworden, wenn es so viele gibt, denen dank Methadon geholfen werden konnte? fragt Reporter Christoph Sommerkorn sich selbst und viele andere. Warum sperrt sich die Bundesrepublik, allen voran die beiden großen Kirchen, gegen den Einsatz von Methadon? Daß solche Fragen kritisch in einer Sendung gestellt werden, die Gott und die Welt heißt, ist das Verdienst von Sommerkorn, der lieber Betroffene, Befürworter und Gegner zu Wort kommen läßt, als dem Publikum seine (erstaunlich vernünftige) Meinung aufdrücken zu wollen.
Die deutsche Caritas, die kürzlich wegen Veruntreuung von Spendengeldern von sich reden machte, lehnt Methadon mit dem (konservativen und nicht nachprüfbaren) Argument ab, es gäbe, statistisch gesehen, auf Dauer genauso viele Drogenabhängige wie ohne Methadon. Eine Sucht ersetzt die andere, und deshalb fordert die Caritas - wenn schon, denn schon - die Freigabe aller Drogen. Das meint sie aber nicht wortwörtlich. Die katholisch-ethische Arbeitsstelle ist der Meinung, daß Methadon nur eine Notlösung für ganz wenige sein kann, für wiederholte Therapieabbrecher, für vereinzelte Aidserkrankte. Viele kirchlichen Therapiestellen, vor einem Jahr noch entschiedene Freunde von Methadon, haben abrupt ihr Methadonprogramm abgebrochen. Nur die Krisenhilfe Essen setzt sich über ihren Arbeitgeber, die Evangelische Kirche, hinweg und verteilt Methadon kostenlos. „Ist das nicht etwas typisch Deutsches, daß man Methadon einen Riegel vorschiebt, obwohl es den Betroffenen dank Methadon besser geht“, fragt sich Sommerkorn und findet die einzig richtige Antwort: „In Deutschland ist ein Fixer erst dann ein Fixer, wenn er ein toter Fixer ist“.
Regina Keichel
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