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Das Herz der Schura schlägt rechts - Ausnahmezustand über Kabul

■ Der umstrittene Fundamentalist Ahmad Schah zum Chef der künftigen Übergangsregierung für Afghanistan ernannt / Modschadeddi droht mit Verweigerung / Ausnahmezustand über Kabul

Kabul/Rawalpindi (afp/dpa) - In der pakistanischen Stadt Rawalpindi hat sich die Ratsversammlung (Schura) der afghanischen Widerstandskämpfer auf den umstrittenen Fundamentalisten Ahmad Schah als Chef einer künftigen Übergangs-Regierung geeinigt. Schah, der der sunnitischen Ittihad-i-Islami (Islamische Union) angehört, werde der Schura sein neues Kabinett am Sonntag vorstellen, berichtete ein Sprecher der Mudschaheddin. Wie es weiter hieß, soll der als gemäßigt geltende Mohammed Nabi Mohammadi Vorsitzender des Allianzrates der sieben Rebellenführer und damit de facto Staatspräsident Afghanistans werden. Den Angaben zufolge hatten sich alle sieben Führer der von Pakistan aus operierenden Widerstandsallianz vor der Ratsversammlung auf die Nominierung Schahs und Mohammadis geeinigt.

Der bisherige Vorsitzende, der gemäßigte Widerstandsführer Sibghatullah Modschaddedi, der sich bis zuletzt gegen die Wahl Schahs gesträubt hatte, trat von seinem Amt zurück. Er wolle mit diesem Schritt eine drohende Spaltung der Siebener -Allianz verhindern, sagte er und kündigte an, er werde die Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung verweigern, wenn der ebenfalls als gemäßigt geltende Widerstandsführer Gailani seine Ankündigung wahr mache und die Regierung von Ahmed Schah boykottiere.

Auch die Feldkommandanten in Afghanistan lehnen Schah ab, weil er weder bei Kampfeinsätzen vor Ort präsent war noch über Erfahrung in der praktischen politischen Arbeit verfügt. Auf Ablehnung stößt auch die religiöse Ausrichtung des Fundamentalisten, der zu den Wahhabiten zählt und damit die gleichen religiösen Ideen verfolgt wie die saudische Königsfamilie. In der afghanischen Bevölkerung ist Schah so gut wie unbekannt.

Die von Iran aus operierenden schiitischen Mudschaheddin -Gruppen waren der Schura am Samstag weiter ferngeblieben, weil sie mit der ihnen zugewiesenen Delegiertenzahl nicht einverstanden waren.

Im belagerten Kabul hat die Regierung am Samstag den Ausnahmezustand ab Sonntag nacht null Uhr ausgerufen und eine Kabinettsumbildung bekannt gegeben. In Kabul blieb es trotz der neuen Maßnahme ruhig. Nur der Präsidentenpalast und der Basar wurden von insgesamt fünf Panzern umstellt. In Radio Kabul hieß es, der Ausnahmezustand sei vorübergehend verhängt worden und diene der Friedenssicherung, nicht der Verlängerung des Krieges. Die indische Nachrichtenagentur 'Uni‘ meldete, unter dem Ausnahmezustand seien besondere Gerichte gegründet worden, die sich mit „ernsten politischen Verbrechen“ befassen sollen.

Unmittelbar nach Ankündigung des Ausnahmezustands wechselte die Regierung Nadschibullah laut Radio Kabul insgesamt acht Minister aus. Schlüsselministerien wurden von der Kabinettsumbildung nicht betroffen. Laut indischen Presseberichten gehört keiner der ausgewechselten Minister der Regierungspartei an.

Unterdessen rief die Sowjetunion die Mudschaheddin zum wiederholten Mal zu friedlichen Verhandlungen mit der Regierung in Kabul auf. Der sowjetische Botschafter im Iran, Wladimir Gudow, sagte am Samstag in Teheran, der beste Weg zu einer Regelung des Konflikts in Afghanistan seien direkte Verhandlungen zwischen den Widerstandskämpfern und der Regierung Nadschibullah.

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