„half ihm doch kein Weh und Ach“

■ Die letzte Tanz-Theater-Inszenierung von Heidrun Vielhauer und Rotraut de Neve, „Rituale“, handelt allem, was einem zum Thema Liebe so einfällt: Buhreife begleiteten das Ende der Premiere

Dauer: ca. Stunden. Ein Pause. Es hätte länger sein können oder aber auch kürzer. Daß es war wie es war, war nicht zwingend. Es war nicht zwingend genug, als daß einem nicht ständig während der Aufführung Alternativen zu dem Gesehenen eingefallen wären.

„Rituale“ ist die letzte Produktion, die das Bremer Tanztheater unter der Leitung von Rotraut de Neve und Heidrun Vielhauer auf die Bühne bringt. Die Premiere fand Sonntag, vor ganz und gar nicht ausverkaufem Hause, im Theater am Goetheplatz statt.

„Rituale“ handelt von Liebe und hätte besser heißen sollen „Klischees“. Es ist weder ein durchgängiges Stück, noch eine collageartige Aneinanderreihung von Szenen, es ist vom Beidem etwas und das ist nicht nur das formale „Programm“. Auch inhaltlich konnte man sich offenbar nicht recht entscheiden und riß alles an, was einem zum Thema Liebe so in den Sinn kommen kann: Zuvorderst natürlich Macht und Gewalt, aber auch Sadismus, Masochismus, Träume, Tränen Leidenschaft und Enttäuschung. Die Aufführung steigert sich dabei immer mehr zum Eintopf.

Beginnend mit der Sanges-Dressur der kleinen Stefanie („Sah ein Knab ein Röslein stehen, Röslein auf der Heiden“) - die schon groß genug ist von ihrem Papi (dem Urvater ihres Talents, dem wahren Urvater des Talents, ja, ich möchte sagen, dem Urvater ihres Talents) begrapscht zu werden, erleben wir ihren großen, freischwebenden Auftritt, der damit endet, daß Papi den jungen Ledermacker, der ebenfalls am Töchterlein fummeln will, einfach abknallt. Startschuß für ein großes Massaker, jeder schießt auf jeden, alle Tän

zer tot. So schön die dazwischenliegende Traumpassage von den wild hopsenden Mädchen in ihren Spielkleidchen inszeniert ist, so glatt platt erscheint deren Verwandlung zu jungen Damen in schwarzer Unterwäsche, für die die entsprechenden, taktangebenden Herren bereits Pelzmantel und Stöckelschuhe zur Hand haben.

Daß zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern unbedingt die besondere Spielart der Chef-Sekretärin gehört, versteht sich. Also springt eine neongelbe Schreibdame x-beinig um ihren Gebieter herum, ruft „Oh, pardon“ und quietscht vor Vergnügen, wenn er ihren Busen quetscht. Der Chef (Ödipus/Schnödipus) hingegen gerät erst dann in Verzückung, wenn seine übergroße Übermama ihn mit Nuckelflasche und Peitsche traktiert. Hinter der Normalität lauern die Abgründe und so sehen sie aus, daß weiß doch jeder.

Nach der Pause wurde ein zweiter Teil geboten, der sich zum ersten verhielt, wie ein Holzbein zum Tanzbein. Keine Veränderungen in der Kulisse mehr, keine Spielszenen, eher improvisiert wirkende Variationen und Repetitionen, man war ganz man selbst, Duke, Regine, Marion, Arthur usw. „Gucken Weggucken“, Eitelkeit und Peinlichkeit, man macht sich was vor und sagt sich die Wahrheit und wenn man zugibt, kleine Augen, Doppelkinn und Bauchansatz zu haben, dann gibt's halt 'ne Ohrfeige von der, die das nicht hören will.

Daß der Rollentausch, d.h. eigentlich war es nur ein Kleiderwechsel, als der als Schluß angeboten wurde, war dann nur noch ein zu kleiner Deckel auf einen ohnehin falschen Topf.

Die Buhrufe, die das Ende dieser Premiere begleiteten, waren dies

mal nicht Zeichen dafür, daß auf der Bühne Spannungen aufgebaut worden waren, die das Publikum nicht aushielt, sondern dafür, daß es keine Spannung gab. Es wurde viel Bedeutung suggeriert und Erwartung erzeugt, vor deren Einlösung man sich in kleine Gags rettete.

Zum Abschied wäre dieser Truppe eine bessere Kritik und dem Publikum eine bessere Inszenierung zu wünschen gewesen, aber, um beim „Röslein“ zu bleiben, „half ihm doch kein Weh und Ach“.

S.H.

Nächste Aufführungen: 24.2.1989, 19.30 Uhr, Theater am Goetheplatz, Bremen