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Man muß strategische Optionen im Kopf haben

■ Interview mit dem Bundestagsabgeordneten der Grünen, Ludger Volmer (NRW), über Tolerierung oder Koalition in Berlin / Er ist einer der Sprecher der innergrünen Strömung „Linkes Forum“, der auch Arkenstette und Wolf angehören

taz: Ihr habt am letzten Wochenende über Berlin diskutiert und Harald Wolf und Birigit Arkenstette angeraten, in Richtung Tolerierung zu verhandeln. Warum?

Ludger Volmer: Unser Anliegen, das hinter der gesamten Diskussion steht, ist, die Möglichkeiten rot-grüner Zusammenarbeit auf Dauer zu sichern. Unterm Strich kamen wir zu dem Ergebnis, daß eine Tolerierung wahrscheinlich für den Anfang tragfähiger ist als eine enge Koalition.

Aber warum?

Wir sind davon ausgegangen, daß die Einigung im Bereich der Sachfragen, so wie sie uns die Berliner Freunde darstellten, doch so sind, daß von den grünen Positionen nur einige Sprengsel in die Bündnisvereinbarung aufgenommen würden. Wenn auf dieser Basis eine Koalition eingegangen würde, die die AL sehr eng verpflichtet, jeden einzelnen Schritt des Senats zu legitimieren, würde sie ihre Möglichkeit generell kritisch mit bestimmten Teilpolitiken umzugehen, einbüßen. Das könnte dazu führen, daß die anfängliche Euphorie dann in Enttäuschung umschlägt und daß Sympathien für die AL wegschmelzen. Genauso vermuten wir umgekehrt, daß die SPD, wenn sie der AL so weit entgegen kommt, unter dem Druck der CDU dann an ihrem eigenen rechten Rand wegschmilzt. Wir vermuten, daß dies bei einer Tolerierung in diesem Maße nicht der Fall ist, weil dann die AL mehr verkraften kann an konservativerer SPD Politik, denn sie hat die Möglichkeit, Kritik zu üben, und muß dabei nicht gleich das Bündnis infrage stellen.

Du hast vorhin gesagt, euch sei die Berliner Situation so geschildert worden, daß nur „kleine grüne Einsprengsel“ möglich sind. Heißt das, daß euer Plädoyer für Tolerierung auf der Grundlage des bisher mit der SPD Erreichten zustandekam?

Wir haben über das Essential-Papier geredet. Aber wir kannten ja auch die Strategie-Papiere, zum Beispiel das von Albert Statz, die alle besagen, daß es schwierig wäre, den großen programmatischen Durchbruch für die AL zu erreichen.

Das sind aber Papiere, die zu einem Zeitpunkt geschrieben wurden, als noch gar keine Verhandlungen mit der SPD stattgefunden hatten. Inwieweit habt ihr überhaupt die Berliner Situation konkret miteinbeziehen können

Wir haben in die Diskussion grundsätzliche politische Erwägungen einbezogen, wobei wir gesehen haben, daß diese Überlegungen, die in einer politischen Laborsituation entstanden sind, sich brechen würden an der atmosphärischen Wirklichkeit, wie sie grade in Berlin herrscht. Trotzdem hielten wir es für sehr nötig, einige strategische Überlegungen in die Diskussion einzubringen. Uns kommt es darauf an, Enttäuschung zu vermeiden und zu verhindern, daß das Projekt scheitert, nicht nur in Berlin, sondern dann auch auf Bundesebene.

Das heißt, eure Entscheidung war nicht so sehr auf Berlin gerichtet, sondern ihr denkt bundesweit.

Wir müssen Berlin auch unter Bundesperspektiven beurteilen. Wir möchten, daß so viel Nüchternheit mitspielt bei den Verhandlungen, daß dort Ergebnisse erzielt werden können und auch eine Form festgelegt werden kann, die tragfähig ist auf Dauer. Wir möchten nicht, daß, ähnlich wie in Hamburg oder in Hessen, nach einer kurzen Phase der Euphorie dann plötzlich die Depression ausbricht. Wir möchten nicht, daß eine Koalition in Berlin wegen Überstrapazierung eines Partners kurz vor der Bundestagswahl scheitert.

Aber Hamburg ist mit der Tolerierung gescheitert.

Die Tolerierung in Hamburg hatte eine bestimmte Zielsetzung, nämlich die Entlarvung der SPD zu betreiben. Das wollen wir jetzt nicht. Wir wollen nicht die SPD entlarven, sondern wir wollen das begriffen wissen als die solidere Möglichkeit einer längerfristigen Zusammenarbeit.

In den letzten Tagen hört man viel Positives aus den Verhandlungskommissionen, es werde viel erreicht, heißt es. Gibt es für euch denn einen Punkt wo ihr sagen würdet, es lohnt eine Koalition.

Wir haben ja vom Linken Forum aus die Frage der Koalition als erste in den Diskurs der Parteilinken hineingetragen. Wenn wir aber meinen, Koalition sollte möglich sein, heißt das noch lange nicht, in jedem Falle. Welche Kriterien im einzelnen ausschlaggebend sein sollen, müssen die entscheiden, die vor Ort das Sagen haben.

Es wird Arkenstette und Wolf vorgeworfen, daß ihr Plädoyer für Tolerierung nicht aufgrund des Standes der Sachverhandlungen zustandegekommen ist, sondern ihre Urteile, Tolerierung, schon feststand, bevor überhaupt verhandelt wurde.

Ich glaube nicht, daß die beiden dann, wenn bei den Sachverhandlungen überraschende und jetzt noch nicht erwartbare Ergebnisse rauskommen, borniert auf alten Standpunkten bestehen würden.

Was könnten denn überraschende Ergebnisse sein. Es gibt ja schon Erfolge. SPD und AL haben sich geeinigt, die Autobahn nicht weiterzubauen, die Polizei soll umstrukturiert, der Verfassungsschutz abgespeckt werden. Aus allen Kommissionen kommen Erfolgsmeldungen und viel Übereinstimmung. Wie hoch hängst du denn die Meßlatte?

Ich möchte diese Grenze nicht setzen, weil ich die Berliner Situation im einzelnen nicht kenne...

... aber ihr habt doch eine Empfehlung ausgesprochen, da müßt ihr euch doch damit befassen

Nein, wir haben gesagt, grundsätzlich, daß wir befürchten, daß die Ergebnisse die neue Politik nicht so stark in unsere Richtung verschieben, daß eine tragfähige Koalition aufgebaut werden könnte. Wenn sich herausstellt, daß wir uns geirrt haben und erheblich mehr herausverhandelt werden wird als wir jetzt vermuten, muß man das neu prüfen. Man muß aber bestimmte strategische Optionen im Kopf haben.

Welche Rolle hat denn das Essential-Papier gespielt?

Wir sind da nicht über jeden Satz glücklich. In Verhandlungen wird gegeben und genommen. Da muß man so manche Kröte schlucken.

Brigitte Fehrle

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